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Billie Wilder. Eine europäische Karriere

Andreas Hutter, Klaus Kamolz

// Rezension von Ivette Löcker

Auf dem Umschlagbild lehnt der junge Billie Wilder lässig-selbstbewußt an seinem Buick (dritter Hand, wie die Autoren vielsagend anmerken), den Hut schief ins Gesicht gezogen. Ein junger Mann, der es geschafft hat. Die Aufnahme: Berlin, späte 20er Jahre.

Nur wenige Jahre später, nämlich 1933, ist Billie Wilder – eigentlich Samuel Wild, den Rufnamen verdankt er seiner Mutter, die für Amerika und insbesondere amerikanische Western schwärmte, – auf der Flucht. Über Paris wird er sich, kaum Bargeld in der Tasche, aber die Realisierung eines seiner Filmdrehbücher in Aussicht, im Jänner 1934 in die USA einschiffen. Amerika war für ihn seit seinen Jugendjahren die Chiffre für Glück. Die Emigration allerdings war erzwungen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 bedeutete für die Filmbranche in Deutschland einen enormen Verlust an künstlerischem Potential: rund 40% der 1933 darin Tätigen ergriffen vor den Verfolgungen die Flucht. Nicht allen gelang es – wie Billie Wilder -, den Erfolg, den sie in Europa aufgebaut hatten, auch weiterzuführen.

Die Autoren Andreas Hutter und Klaus Kamolz, ihres Zeichens Kulturjournalisten, konzentrieren sich bewußt auf die „europäische Karriere“ des Billie Wilder: Sie schreiben eine ebenso detailreiche, amüsante wie fundiert recherchierte Geschichte und stützen sich dabei nicht auf die autobiographischen Aussagen – und Verklärungen – des Emigranten Wilder, sondern haben eine Fülle an anderen Dokumenten aufgeschlossen. Zeitungsberichte, Autobiographien von Journalisten- und Filmkollegen, historische Dokumente über die Zwischenkriegszeit ergeben ein rundes Bild und betten die berufliche Karriere des Reporters, Drehbuchschreibers, angehenden Regisseurs in eine gesellschaftpolitische Perspektive ein.

Die europäischen Stationen seiner Lebensgeschichte heißen Galizien (1906 geboren als zweiter Sohn einer ostjüdischen Familie) und Krakau, aus dem die Wilders 1916 fliehen müssen, um sich dann in Wien niederzulassen. Im Wien der Zwischenkriegszeit startet Billie Wilder mit 18 Jahren seine Karriere als Reporter (für die „Stunde“, „Die Bühne“), als rasender Reporter war er im „Wien der Inflationszeit“ unterwegs, jedem sensationellen Ereignis auf den Fersen: von den englischen Tillergirls bis zum Jazz-Star Paul Whiteman. Auch die Nebenrolle, die Wilder im „Pressekrieg“ zwischen dem Pressemagnaten Imre Berkessy und „Fackel“-Herausgeber Karl Kraus spielt, wird durch die Montage aus Zeitungsberichten, Gerichtsprotokollen und eigenen Reportagen Wilders lebendig.

Das Angebot, über Whitemans Konzert zu schreiben, verschlägt ihn 1926 nach Berlin. Dort bleibt er im „Romanischen Café“, dem Treffpunkt der Journalisten aus Wien, Berlin, Prag, Budapest, hängen und schlägt sich mit Engagements bei „Tempo“ und „B. Z. am Mittag“ durch. So als Briefkastentante Billie (da er erfährt, daß der Name eine weibliche Form ist), die auf alle Fragen „ihrer“ Leserinnen antwortet. Den Durchbruch als Journalist schafft er mit seiner Reportage „‚Herr Ober, bitte einen Tänzer!‘ Erlebnisse eines Eintänzers“, wo er seine kurze Karriere als Gigolo im Berliner Hotel Eden – Wilder ist ein ausgezeichneter Tänzer – niederschreibt.

Schon länger betätigt sich Wilder als Schreiber von Filmszenarien, aber erst ab 1928 kann er eigene Projekte realisieren. „Menschen am Sonntag“ (1929/1930, Regie: Robert Siodmak), ein halbdokumentarischer Stummfilm über vier junge Menschen in Berlin an einem Sommersonntag, begründet seinen Aufstieg als Ufa-Drehbuchautor. Die folgenden Filme zeigen das komödiantische Talent Wilders auf, seinen pointierten Witz, seine Prägnanz in den Dialogen. Auf lockere Art verschränken Hutter und Kamolz Filmbeschreibungen und Drehbedingungen, soziale Ausgangssituation der jungen Filmemacher und -autoren (unter anderen Robert Siodmak, Kurt Siodmak, Max Kolpe) im Berlin der Weimarer Republik und den Kontext der deutschen Filmproduktion. Die Zäsur 1933 (Flucht nach Paris) / 1934 (Emigration nach Amerika) verändert neben Wilders Wohnort auch seinen Vornamen: Billie wird zum Billy, der an der Hollywood-Geschichte entscheidend mitschreibt.

Abbildungen, Anmerkungsapparat, Filmo- und Bibliographie ergänzen die europäischen Wilder-Jahre – ein gelungenes Beispiel für das Schreiben individueller Geschichte im zeithistorischen Kontext.

Andreas Hutter, Klaus Kamolz Billie Wilder. Eine europäische Karriere
Biografie.
Wien, Köln, Weimar: böhlau, 1998.
253 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-205-98868-X.

Rezension vom 04.09.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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