#Sachbuch

Im Labyrinth

Michael Aichmayr, Friedrich Buchmayr (Hg.)

// Rezension von Evelyne Polt-Heinzl

Labyrinthisch ist die „Verdichtung von Motiven und formalen Strukturen […], in denen – unter dem Terminus ‚kafkaesk‘ subsumiert – ein Suchen oder Scheitern von Kafkas Helden zum Ausdruck kommt“ (S. 5).

Was die sechs hier unter diesem Aspekt versammelten Beiträge spannend macht, ist der über literaturwissenschaftliche Herangehensweisen im engeren Sinn hinausgehende Blick. Vorangestellt ist dem Band eine sehr kurze essaysistische Betrachtung von Friedrich Buchmayr zur „Türhüter“-Parabel. Die beiden vielleicht interessantesten Aufsätze stammen von Kurt Druckenthaner. In einer von der Kommunikationstheorie ausgehenden Analyse liest er Kafkas „Beschreibung eines Kampfes“ als vergeblichen Kampf um Verständnis und geglückte Kommunikationsakte.

Der zweite Beitrag stellt Kafka als Schamanen vor. Nach Mircea Eliades Schamanismus-Begriff arbeitet Druckenthaner vier Wesensmerkmale heraus, die sich überzeugend auf den „Fall Kafka“ anwenden lassen: die Ekstase (Kafka selbst beschreibt eine Art „Schreibtrance“ (S. 67) als Voraussetzung für das Gelingen eines Textes), der symbolische Tod, der eine Entwicklungsstufe, einen Durchgangsritus markiert (als Beispiele dafür nennt Druckenthaner unter anderem Georg Bendemann und Josef K.), die Überschreitung der Wirklichkeitsebenen (jenes Umkippen der empirischen Wirklichkeit in eine metaphysische Dimension, das sich im Schlagwort „kafkaesk“ unauflöslich mit dem Namen des Autors verbunden hat) und die Tierverwandlung, die in Kafkas Werk auffällig häufig wiederkehrt.

Michael Aichmayrs Beiträge sind komparatistische Analysen. Er untersucht autobiografische und werkgeschichtliche Parallelen zwischen Franz Kafka und Italo Svevo – hier wirkt die Verschränkung etwas weniger überzeugend -, die andere, beinahe die Hälfte des gesamten Bandes einnehmende Analyse gilt Dino Buzzati. Da Buzzati gegenüber – zu unrecht – wiederholt der Vorwurf der Epigonalität erhoben wurde, arbeitet Aichmayr zunächst in einer ausführlichen Zusammenstellung Symbol- und Motivkonstanten der beiden Autoren heraus, um erst in einem dritten Teil die vielfältigen Gemeinsamkeiten herauszufiltern. (Leider werden genau hier – im Unterschied zum Kapitel über Italo Svevo – für die sehr ausführlichen Zitate aus Buzzatis Werk keine Übersetzungen geboten.)

Im abschließenden Beitrag versucht Markus Vorauer, die „Struktur des Filmtextes als Labyrinth“ (S. 212) zu beschreiben. Als Ausgangsbasis dienen ihm dabei – mit Ausnahme von Orson Welles „Proceß“-Verfilmung – ausschließlich Filme, die in keinem direkten Bezug zu Kafka stehen, sondern in der Art der gezeigten Realitätswahrnehmung und der davon ausgelösten Verunsicherung des Rezipienten an „kafkaeske“ Erzählmuster erinnern.

Umrahmt und visuell kommentiert werden die Beiträge von acht bislang unpublizierten, thematisch zugeordneten Illustrationen von Hans Fronius, einem der frühesten und produktivsten Kafka-Illustratoren. Das schön gestaltete Coverbild zeigt Kafkas bekannte Strichzeichnung eines leidenschaftlich über einen Tisch gebeugten Mannes in der Draufsicht inmitten einer Fülle zum Teil erkennbarer Symbole und Figuren. Sie stammen von einer Schamanentrommel. In verwirrender Anordnung umgeben sie Kafkas sitzende Gestalt mit einem unenträtselbar dichten Gewebe – ein gelungener illustrativer Kommentar zum Gewerbe der Kafka-Interpreten.

Michael Aichmayr, Friedrich Buchmayr (Hg.) Im Labyrinth
Texte zu Kafka.
Stuttgart: Heinz, 1997 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. 357. Salzburger Beiträge. 35).
251 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-88099-362-9.

Rezension vom 16.06.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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