#Roman

Der beste Tag
seit langem

Jana Volkmann

// Rezension von Daniela Chana

In ihrem neuen Roman Der beste Tag seit langem erzählt Jana Volkmann mit viel Verve und Humor von der Suche nach persönlicher Freiheit, festgemacht an der Frage, ob Tiere arbeiten.

Die Ich-Erzählerin Maja verdient ihr Geld mehr schlecht als recht mit dem Ghostwriting von Dissertationen und Seminararbeiten sowie dem Transkribieren von Interviews. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Institutionen hat sie daran gehindert, eine Ausbildung abzuschließen und einen stringenten Karriereweg einzuschlagen. Gemeinsam mit ihrer halbverwaisten Nichte Cordelia, die sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden befindet, lebt sie in dem ehemaligen Haus ihrer Familie auf einem Grundstück mit Garten. Beide Frauen haben sich der ökonomischen Verwertbarkeit ihrer Talente weitgehend entzogen und geben sich einem melancholischen, intellektuellen Müßiggang hin, der überwiegend von Zeitungslektüre und Diskussionen geprägt ist.

Eines Nachts lesen die beiden auf der Straße ein verwahrlostes Pferd auf und nehmen es kurzerhand mit nach Hause. Die Vermutung, dass es sich bei dem Tier um ein entlaufenes – und somit „streikendes“ – Fiakerpferd handelt, bleibt bis zum Ende des Romans Spekulation. Später läuft ihnen ein Hund zu, und auch hier wird der Verdacht, dass es sich um ein ausgebüxtes Labortier handelt, im Grunde nie eindeutig bestätigt. Durchaus naheliegend ist, dass die beiden Frauen ihre eigene Situation auf die Tiere projizieren und sie mit ihrer „Rettung“ ein bisschen zwangsbeglücken.

Leichtfüßig und mit viel Situationskomik – das Verstecken eines Pferdes führt unvermeidlich zu köstlichen Slapstickszenen – wirft Volkmann große Fragen auf: Was ist Arbeit? Arbeiten Tiere für den Menschen oder ist zum Beispiel für den Drogenspürhund alles nur ein „Spiel“, wie die Protagonistinnen an einer Stelle des Romans in einem Zeitungsartikel lesen? Ab welchem Punkt geht die Einschränkung der persönlichen Freiheit, mit der Arbeit immer verbunden ist, in Ausbeutung über, und was bedeuten diese Erkenntnisse für den Menschen? Bei all dem gelingt Volkmann das Kunststück, sich nicht zum Sprachrohr einer Ideologie zu machen, sondern ironisch-distanziert und somit differenziert zu bleiben. Anschaulich wird dies zum Beispiel an Majas wiederholter Feststellung, die sich in verschiedenen Varianten durch den Roman zieht: „Man wurde so schnell zur Tierquälerin, wenn man nicht aktiv dagegen anging, permanent, mit guten Entscheidungen und folgerichtigen Taten, und selbst dann war man nicht davor gefeit.“ (S. 102)

Das reduzierte Setting mag stellenweise etwas klaustrophobisch anmuten, wird jedoch nie langweilig. Die meiste Zeit erleben wir die Protagonistinnen in ihrem Haus und dem dazugehörigen Garten, nur wenige kurze Ortswechsel verhindern, dass der Roman zum Kammerspiel wird. Nachdem gleich auf den ersten Seiten die Ungeheuerlichkeit passiert ist – nämlich das Zulaufen des Pferdes –, besteht fortan die Spannung darin, wie die Figuren mit den neuen Gegebenheiten umgehen und ihren so sonderbar erschwerten Alltag bewältigen. So begleiten wir die Protagonistinnen dabei, wie sie sich umfassend in die Themen „Pferdehaltung“ und „Pferdeheilkunde“ einlesen, wohlwissend, dass sie sich auch im Falle einer Krankheit des Tieres aus Gründen der Geheimhaltung an keinen Tierarzt wenden und sich folglich um alles selbst kümmern müssten. Zweifellos sind hier Einflüsse von Marlen Haushofer spürbar, die Volkmann in Interviews als eine ihrer Lieblingsautorinnen nennt. Ähnlich wie etwa die Hauptfigur in Haushofers Klassiker Die Wand, sind die beiden Frauen in einer Situation gefangen, deren Ausweglosigkeit ihnen erst nach und nach bewusst wird und in der sie überwiegend auf sich alleine gestellt sind und häufig improvisieren müssen – zum Beispiel beim Bau eines behelfsmäßigen Stalls, als es regnet. Durch die Einführung neuer Figuren – allen voran einen zum Brüllen komischen Tierarzt, der durch eine überraschende Wendung ihren Weg kreuzt – gewinnt die Handlung in der Mitte des Romans noch einmal neuen Schwung, die Skurrilität des Settings wird aber nicht durchbrochen.

Volkmann ist eine präzise Beobachterin, die über die detaillierte Schilderung von Sinneseindrücken eine besondere Nähe zu ihren Figuren erzeugt. Bereits in ihrem Roman Auwald beschrieb sie aus der Perspektive einer Tischlerin in langen Passagen den Duft und die Beschaffenheit von Holz so eindrucksvoll, dass beim Lesen völlig nachvollziehbar wurde, weshalb die Protagonistin sich lieber in ihrer Werkstatt aufhielt als unter Menschen. Diese Qualität zeigt sich auch in Der beste Tag seit langem, zum Beispiel in der eindringlichen Beschreibung des pochenden Schmerzes nach einem Pferdebiss. Solche sorgfältig erzählten Passagen machen den Roman zu einem ganz besonderen Lesevergnügen.

Eine weitere Stärke der Autorin ist die realistische Wiedergabe der direkten Rede. Volkmann erlaubt ihren Figuren, dass sie sich beim Reden verhaspeln, sich selbst unterbrechen und ihre Gedanken in der Luft hängenlassen. Zum Beispiel antwortet Cordelia auf die Frage, ob etwas Interessantes in der Zeitung stehe: „Das mit dem Hund ist ziemlich arg. Ich meine, lustig. Ach, ich weiß auch nicht.“ (S. 40) Durch Dialoge wie diesen wirken die Figuren besonders lebensnah.

Eine interessante Pointe des Romans besteht darin, dass sich auf dem Nachbargrundstück von Maja und Cordelia ebenfalls eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft niedergelassen hat: Hier wohnt die Familie Kargl, die ihrerseits ausschließlich aus Frauen besteht – Großmutter, Mutter, Töchter und Tanten –, die noch dazu alle demselben Beruf nachgehen, nämlich dem der Anwältin. Diese Gegenüberstellung der Lebenssituation von Maja und Cordelia auf der einen und deren Nachbarinnen auf der anderen Seite hat einen satirischen Effekt, gleichzeitig treten durch die eigentümlichen Gemeinsamkeiten die Unterschiede noch stärker zu Tage. Obwohl die Parallelen durchaus geeignet wären, Nähe und Solidarität zu erzeugen, scheint es so etwas wie eine unüberwindbare Standesgrenze zu geben, die zwischen den beiden Grundstücken verläuft.

Ebenso wie im Vorgängerroman Auwald bleibt auch das Ende von Der beste Tag seit langem etwas rätselhaft. Es stellt sich die Frage, ob unbedingt jede Geschichte mit einem drastischen Knalleffekt enden muss. Das enorme Lesevergnügen, das Der beste Tag seit langem bereithält, wird dadurch jedoch kaum getrübt. Spätestens jetzt kann als erwiesen gelten, dass es sich bei Jana Volkmann um eine Autorin handelt, bei der man sich auf jede Neuerscheinung freuen darf.


Daniela Chana
, geb. 1985 in Wien, promovierte an der Universität Wien im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft. Ihr Gedichtband Sagt die Dame (Limbus Verlag), wurde 2019 unter die Lyrik-Empfehlungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gewählt. 2021 folgte, wieder bei Limbus, der Erzählband Neun seltsame Frauen, der Chana eine Nominierung auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises eintrug. Für die österreichische Tageszeitung Die Presse schreibt sie regelmäßig Essays über Themen des Alltags und der Literatur.

Jana Volkmann Der beste Tag seit langem
Roman.
Wien: Residenz, 2024.
256 Seiten, Hardcover.
ISBN: 9783701717903.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin sowie einer Leseprobe

Homepage von Jana Volkmann

Rezension vom 29.10.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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