#Roman

Trockenes Feld

Kurt Palm

// Rezension von Johanna Lenhart

Noch bevor man Trockenes Feld aufschlägt, wird man bereits mit einem Rätsel konfrontiert – auch wenn das den Leser:innen erst später bewusst wird. Der Titel des Romans bezieht sich nämlich auf die Übersetzung eines Ortsnamens: Suhopolje heißt der Ort in Slawonien, Kroatien, wo die Eltern von Autor und Erzähler – Kurt Palm in Personalunion – aufgewachsen sind.

Im Ortsteil Kapan, um genauer zu sein, wo Palms Vater als junger Mann den elterlichen Bauernhof übernahm. Suhopolje, oder zu Deutsch eben ‚trockenes Feld‘, ist dabei deshalb ein „rätselhafter Name“ (S. 23), weil das Dorf mitten im Sumpfgebiet liegt, so gar nicht im Trockenen. Es soll nicht das einzige Rätsel bleiben, dem Kurt Palm in dieser Spurensuche versucht, auf den Grund zu gehen.

Der Autor und Regisseur für Film, Fernsehen, Theater und Oper, der spätestens seit den 1990er-Jahren auch einem breiteren Publikum durch Phettbergs Nette Leit Show bekannt wurde, und zuletzt mit Kriminalromanen wie Bad Fucking (2010) oder Der Hai im System (2022) Erfolge feierte, widmet sich hier einem besonders in den letzten Jahren populär gewordenen Genre: der Autofiktion.

Trockenes Feld erzählt die Geschichte von Palms Familie, von seinen Eltern, die während des Zweiten Weltkriegs als Angehörige der deutschen Minderheit aus Jugoslawien ‚heim ins Reich‘ umgesiedelt wurden und alles zurücklassen mussten, besonders von seinem Vater, der mit der SS-Polizei in Frankreich stationiert war. Er erzählt vom Leben als ‚Fremde‘ im Nachkriegsösterreich, vom ständigen Blick zurück auf Kapan, das heute kaum noch mit dem Ort in der Erinnerung in Einklang zu bringen ist, und natürlich auch von sich selbst.

Es ist immer dasselbe: Meine Eltern tauchen in meinen Träumen auf und ich wundere mich, dass sie nicht wissen, dass sie längst tot sind. Ich hasse diese Träume und frage mich, was sie mir erzählen wollen.“ (S. 21) Denn bei Lebzeiten, so der Erzähler, hat ihn die Lebensgeschichte seiner Eltern nicht interessiert. Dass seine Eltern ihre eigenen Leben und Geschichten haben und dass sie diese in das Leben des Sohnes mitgebracht haben, realisiert er erst nach ihrem Tod. So erzählt Trockenes Feld auch vom Erschreiben einer Familie. Ein Prozess, in dem aus vielen einzelnen Momenten, Beziehungen und Ereignissen erst im Rückblick, im Schreiben, ein zusammenhängendes Ganzes entsteht. Und auch Kurt, der Erzähler, findet auf diese Weise seinen Platz in dem Gefüge, wie er etwa erkennt, wenn er vom frühen Tod eines Bruders seines Vaters berichtet: „Erst jetzt, beim Schreiben, wird mir bewusst, dass Johan Palm mein Onkel war.“ (S. 27)

Im Nachhinein rekonstruiert Palm das Leben seiner Eltern, recherchiert Dokumente und macht Lokalaugenscheine, spricht mit noch lebenden Verwandten, die aber nicht immer die zuverlässigsten Informant:innen sind. Andere Hinweise auf das prekäre Verhältnis von Wahrheit und Fiktion – wie  in autofiktionalen Texten üblich – sind dabei, abgesehen von zwei dem Text vorangestellten Mottos, überraschend spärlich gesät. Im Gegenteil, wie um das Erzählte zu belegen, arbeitet Palm doch auch mit (realen?) Fundstücken, die den Text immer wieder unterbrechen: Schulaufsätze und Tagebucheintragungen des jungen Kurts, eine verstörende Baumax-Rechnung. Dennoch stößt der Erzähler immer wieder an die Grenzen dessen, was sich recherchieren und erinnern lässt: Warum wurde 1958 beim Konsulat der BRD von seinen Eltern eine Meldebestätigung der Gemeinde Neukirchen an der Vöckla vorgelegt? Warum blieb das Soldatenbuch seines Vaters nicht erhalten? „[D]arüber kann ich nur spekulieren.“ (S. 270)

Kurt Palm erzählt in Trockenes Feld mit Empathie von seiner Familie und sich selbst, stellt die eigene Biografie der seines Vaters gegenüber, denkt über den Tod seines Bruders nach, studiert die Migrationsbewegungen seiner Vorfahren. Es ist keine Abrechnung, keine Anklage, aber auch keine Hymne oder Verklärung. Trockenes Feld ist die Deutung einer Familie, von Palm aus gesehen.  Feinfühlig und hartnäckig zugleich tastet er sich Schritt für Schritt in vergessene Kapitel der Familiengeschichte und zu Ausgangspunkten lange bestehender Dynamiken vor. 

Mit sicherer Hand erzählt Palm von den Schwierigkeiten, sich durchzuschlagen, von sozialen Hürden und bürokratischen Fallstricken, vom Schweineschlachten und jugendlichem Kommunismus und davon, wie sich Traumata über Generationen und Grenzen hinweg festsetzen. Fesselnd und nicht selten berührend, von außen beobachtend und doch mittendrin. Eine Haltung, die Palm zu liegen scheint, wenn man einem im Roman zitierten jugendlichen Tagebucheintrag von 1973 trauen darf: „Ich sitze im hintersten Winkel meines Gehirns und beobachte, was Kurt Palm macht. Ich bin oft gar nicht froh über all den Blödsinn, den er macht.“ (S. 170) 

 

Johanna Lenhart, Studium der Germanistik und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Wien. 2017-2022 OeAD-Lektorin an der Ain-Shams-Universität Kairo, Ägypten, und an der Masaryk-Universität Brno, Tschechische Republik; 2022-2024 externe Lektorin an der Masaryk-Universität; seit 2023 beim Ars Electronica Festival im Projektmanagement im Bereich Demokratiebildung tätig; Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift medienimpulse. Beiträge zur Medienpädagogik. Forschungsschwerpunkte umfassen u. a. österreichische Literatur der Gegenwart, Comic sowie Genreliteratur und -film.

Kurt Palm Trockenes Feld
Roman.
Graz – Wien: Leykam, 2024.
304 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen.
ISBN 978-3-7011-8343-2,

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor

Rezension vom 19.01.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.