#Roman

Arcus

Norbert Maria Kröll

// Rezension von Jakob Kraner

Der Künstler Arcus erbt ein unfassbar großes Vermögen. Wie umgehen mit so viel Geld? Wie bleibt man als Milliardär moralisch integer und wie lässt sich Geld künstlerisch radikal verwerten? Norbert Maria Krölls vierter Roman vollzieht das Gedankenexperiment gleichermaßen als Komödie wie als Thriller.

Marcus Himmeltroff-Gütersloh wohnt – seiner Upper-Class-Herkunft zum Trotz – in einer Garçonnière, kleidet sich in löchrige Jeans und zerschlissene Sneakers. Als Künstler nennt er sich Arcus, treibt sich mit Künstlerfreund:innen am Rundgang der Akademie der bildenden Künste herum und pflegt beste Beziehungen zur Belvertina, einer der bedeutendsten Kunstgalerien der Stadt. Seine Werke werden für beachtliche Summen gehandelt.

So lebt und arbeitet Arcus vor sich hin, bis seine Eltern plötzlich sterben und er als Alleinerbe des Familienvermögens zum reichsten Österreicher wird. Vom Familiennotar über die Buchhalterin bis hin zum Hausmeister kann das Soziotop seiner Herkunftsfamilie nur Unverständnis für den Sohn aufbringen und seine Verachtung kaum verhehlen. Einzig bei seiner Kindheitsfreundin Stephanie und ihrer Tochter Anouk, die nichts mit Geld und Oberschicht zu tun haben, fühlt sich Arcus wohl und geborgen. 

Spontan vervielfacht Arcus zunächst die Gehälter seiner Angestellten, unterstützt recht wahllos alle prekär lebenden Kreativmenschen, die ihm unterkommen, und baut so die Familienvilla in eine Künstler:innenkolonie um. Dabei ist er kein verblendeter, philanthropischer Milliardär, sondern hadert immerzu mit seiner Rolle. Er redet nichts schön und weiß, dass allein die Entscheidungsgewalt über so viel Vermögen schon unmoralisch ist, egal für welchen guten Zweck es eingesetzt wird.

Immer wieder stellt er bitter fest, dass er nicht so leicht aus seiner Haut kommt und dem Reichenmilieu verhaftet bleiben wird, ob er will oder nicht. Mit der Gründung einer Stiftung will er die Verfügung über sein Vermögen aus der Hand geben. Zugleich plant er, sein Geld in möglichst radikaler Weise als künstlerisches Medium einzusetzen. Und als wäre der Kampf mit dem Geld nicht genug, ist da noch die Geheimtür im Keller, über die der Hausmeister in seltsames Schweigen verfällt.

Arcus ist ein Sonderling und eine zwiespältige Figur. Er changiert zwischen aufrichtigem Interesse am Wohl seiner Mitmenschen und der Gesellschaft und einer pathologisch anmutenden Empathielosigkeit und Arroganz. Irgendetwas stimmt mit diesem Mann nicht. Während er sich noch fragt, ob es moralisch vertretbar wäre, das Tagebuch seiner Mutter oder die Chats von Anouk zu lesen, sind seine Finger schon dabei, es zu tun. Als Arcus das Werk seines besten Freundes und Malerkollegen Matthias mit harten Worten abwertet, beißt dieser die Zähne zusammen und erinnert sich, dass es nicht böse gemeint ist. Arcus könne anderen nichts vorspielen, er könne nichts für seine „Krankheit, immer die Wahrheit sagen zu müssen“.

Die Ambivalenz von Arcus’ Charakter und die Hintergründe seiner Neurodiversität bleiben auf gute Weise unaufgelöst, und so wird er zur plastischen und ungewöhnlichen Figur. Sehr bruchlos sind dagegen die Nebenfiguren Stephanie und ihre Tochter Anouk. Das erfrischend freche und lebhafte Kind und die warmherzige Mutter suggerieren ein Milieu des „echteren“ Lebens und Liebens der „normalen Menschen“, das im etwas zu eindeutigen Kontrast zur kalten und künstlichen Superreichen-Blase von Arcus’ Familie steht. Anders als im Falle der Hauptfigur legt das Buch hier Sympathie und Antipathie selbst fest und lässt die Lesenden nur nickend zustimmen.

Der Roman greift viele relevante und aktuelle Diskurse auf: die Unterbezahlung von Care-Arbeit, ungleiche Vermögensverteilung, Nachhaltigkeit, Impfskepsis, übermäßiger Medienkonsum und allen voran die Frage von Geld und Verantwortung. Derlei Themen sind im Text allzeit präsent, werden jedoch weniger auf Handlungsebene bearbeitet, sondern tauchen zumeist in Form von expliziten Positionierungen der Figuren in ihren Dialogen oder inneren Monologen auf. Diese lesen sich oft wie Zeitungskommentare, deren Position die meisten Lesenden vermutlich ohnehin teilen, und so wird letztlich nicht ausgeschöpft, was die literarische Form auf diesem Feld vielleicht noch bieten könnte. Eine ähnliche Kommentarhaftigkeit zeigt sich bisweilen auch abseits der Figurenrede in den Schilderungen von Szenerie, Geschehen und Personen. Wenn beispielsweise der nerdige Tresorknacker, der zur Öffnung der Geheimtür herangezogen wird, mit dem Zusatz „wie aus einem schrägen Science-Fiction-Film entsprungen“ versehen wird, dann nimmt der Text eine Abkürzung und behauptet einen Eindruck, der eigentlich durch Sprache und Beschreibung erst zu erzeugen wäre.

Dafür aber funktioniert die Gesamtkonstruktion des Buches als komödiantischer Thriller wunderbar. In Sachen Suspense und Andeutung macht das Buch alles richtig. Die Stiftungsgründung gerät zum Point of no Return und erzeugt Spannung. Das Geschehen spitzt sich auf den Geheimtresor und auf Arcus’ Kunstperformance zu und regt zum Weiterlesen an. Nebenbei entfaltet das Buch eine reichhaltige Sammlung fiktiver wie greifbarer Kunstwerke. Nach der Lektüre könnte man meinen, man habe Arcus’ Werke wirklich schon mal im Museum gesehen.

 

Jakob Kraner, geboren 1986, aufgewachsen im Waldviertel, lebt seit 2005 in Wien. Er studierte Philosophie an der Uni Wien und Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Er schreibt Prosa(miniaturen), Essays und dramatische Texte, macht Lesungen, Literaturperformances und Musik. Zum Beispiel: Die Theaterstücke Versuch, irgendetwas zu verstehen für das Waldviertler Hoftheater (2023) und Jolt für das Nachwuchsprojekt des Garage-X-Theaters (2012) ; interdisziplinäre Projekte für das Viertelfestival Niederösterreich, zuletzt ROA! (2023), FLÄCHE – literarische Live-Doku mit Matthias Vieider, uraufgeführt im Literaturhaus Wien (2016). Teil der Literaturpunkband Smashed To Pieces. Seit 2012 Mitorganisator der Schreibwerkstatt Waldviertel.
Zuletzt mit einem Projektstipendium des BMKÖS und dem Kulturpreis der Landes Niederösterreich 2023 ausgezeichnet. Fellow am Schloss Wiepersdorf, Brandenburg (2024). Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien wie Triëdere, Schreibheft und kolik. 2022 erschien sein Buchdebüt Kosmologie in der Reihe „Rohstoff“ bei Matthes & Seitz.

Norbert Maria Kröll Arcus
Roman.
Wien: Kremayr & Scheriau, 2024.
256 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag.
ISBN 978-3-218-01444-1.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor sowie einer Leseprobe

Rezension vom 07.01.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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