#Roman

GLORIA!

Arad Dabiri

// Rezension von Maren Sophia Streich

In GLORIA! geht es um einen jungen Mann Anfang Zwanzig, Homayoun Badii, und seinen Freundeskreis in Wien. Der Roman begleitet insbesondere seinen Protagonisten auf einer Reise, die anfangs von Hoffnungen auf Ruhm, Erfolg, Karriere und Anerkennung geprägt ist. Bald folgen jedoch Enttäuschungen, Liebeskummer, rauschhafte Nächte, die erst viel versprechen und dann eine Zuflucht gegen den Schmerz werden, und das Abgleiten in eine Sucht, aus der ein Rückweg zu schwer erscheint.

„Wir waren ganz oben, wirklich: ganz oben“ (S. 10)

Zur Geschichte

Zu Beginn des Romans sitzen Homayoun und seine Freunde im Café Kriemhild im 15. Wiener Gemeindebezirk und bestellen bei ihrer Freundin Yasmina, die ihre Getränke immer wieder aufschreibt – zum später Zahlen. Die Figuren haben alle kein Geld, befinden sich allerdings intensiv auf der Suche nach diesem, ebenso wie nach Anerkennung.

Homayoun ist Autor, hat gerade sein erstes Buch herausgebracht, doch der Durchbruch bleibt aus. Zumindest der große Erfolg. Seine Freund:innen, darunter Yasmina (Kellnerin und bildende Künstlerin), Ferdi und Yorgos (von dem man im Buch am meisten erfährt; auch er Autor, der sich später als Homayouns Agent ausgibt), wissen auch ohne Geld und Erfolg, wie sie ihre Zeit genießen können. Sie schlagen sich die Nächte in Wien um die Ohren, wobei Alkohol und Drogen eine große Rolle spielen.

Der alles antreibende Faktor scheint jedoch die Liebe zu sein: Homayoun leidet unter seinem ersten großen Liebeskummer, auf den er immer wieder zurückkommt: Der Grund ist „s i e“, immer mit Abstand zwischen jedem Buchstaben geschrieben. Die Fragen, die der junge Mann und Autor sich stellt, erinnern an Teenager-Zeiten und ein Gefühl von Ausweglosigkeit, in der man sich irrational gefangen meint. Gleichzeitig scheint sich der Text von Anfang an auch selbst nicht komplett ernst zu nehmen, wenn es auf Seite 32 etwa heißt: „Und unser aller Augen: wurden feucht. / ‚Wir werden Giganten sein, das haben wir uns doch geschworen…‘ / ( g e d u l d , i h r m ü s s t e u c h i n g e d u l d ü b e n )“. Der Roman, der komplett rückblickend erzählt wird, scheint zum Zeitpunkt des Erzählens schon über das Erlebte hinweg, schon weiter zu sein – und kommentiert.

Außerdem findet im Buch eine Art „Jungautoren-Heldenreise“ statt: Homayoun reist zur Buchmesse, verbringt Zeit mit seinem verbitterten Verleger und anderen Menschen aus dem Literaturbetrieb, er bringt sein zweites Buch mit Hilfe von Yorgos als Agenten heraus, bei einem besseren Verlag für mehr Geld, er hat eine große Lesung und wird von Franz, dem Moderator, auf die Parallelen zu seinem Protagonisten angesprochen, sie feiern in Berlin und sind froh, dass sie in dieser Stadt nicht ewig bleiben, sie feiern in Wien. Doch plötzlich beginnt sich die Geschichte zu drehen: Während der erste, doch so angestrebte große Erfolg sich relativ zügig und schnell einzulösen scheint, löst, ja entfremdet, sich Homayoun immer mehr von seinem vertrauten Freundeskreis.

Die Rede ist plötzlich vom Erwachsenwerden, wofür sich die meisten seiner Freund:innen entscheiden. Nicht aber Homayoun. Von dieser Stelle an folgt der Roman allein dem Protagonisten, der sich immer weiter von seinen Freund:innen ab- und den Nächten und dem Rausch zuwendet, verbittert über Missverständnisse und Enttäuschungen dem Liebeskummer nachgibt und keine andere Lösung mehr findet als Alkohol und Drogen.

Den endgültigen Bruch mit den Freund:innen, aber auch mit seinem bisherigen Leben und der Hoffnung auf ein positives Ende gibt es nach einem Interview, in dem Homayoun nicht nur den Interviewenden verärgert („Na, Herr Journalist, welche dumme Frage kommt als nächstes?“, S. 218), sondern auch seine Freund:innen endgültig enttäuscht zurücklässt („Wir wollen dich zurück, Homayoun“, S.216). Er stößt sie, trotz ihrer Warnung, er würde sich gerade verlieren, von sich.

„Ich warte, worauf? Kein Plan, soll ich überhaupt warten? Werde ich noch abgeholt? Oder einfach nur: stehengelassen.“ (S. 257). Ab Seite 261 tritt dann Gloria auf, die wohl eine vorgestellte Stimme des Protagonisten (es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Figur Gloria in der Szenerie für alle sichtbar anwesend ist, sie kommentiert nur die Erzählung Homayouns darüber) und titelgebend ist.

Der Absturz wird vom Protagonisten selbst noch wahrgenommen, er kommentiert seinen eigenen Verfall, wie als Zuschauender. Gloria steht ihm zwar als einzige Vertraute bei, feuert ihn jedoch weiter an. Homayoun erzählt dabei diese Erlebnisse als Ich-Erzählung, Gloria ist dabei in dramatischer Form wie in Einschüben dazwischengeschaltet. In einer Nacht schluckt Homayoun eine Menge Pillen: „Das Gift breitet sich in meinem Körper aus und ich spüre endlich so etwas wie: Frieden.“ (S. 295); und der Protagonist stirbt einsam und jung in einem Wiener Nachtlokal: ob an den Drogen, der Literatur, der Liebe – auf jeden Fall, wie Homayoun sagt, „so wie wir es wollten.“ (letzte Worte, S. 296)

Zum Aufbau und Typografie

Vorab heißt es: „Dies ist Fiktion: / ein modernes Großstadtmärchen, / in dem alles richtig / und alles falsch ist; / dies ist der / ROMAN / GLORIA! / von / Arad Dabiri“, alles mittelbündig gesetzt. Die Kursivierung bezeichnet hier die Verwendung einer anderen Schriftart ( im Buch kommen folgende Schriftarten vor: Noe Text, Plaax 1 Sathonay, Times New Roman; Gestaltung und Satz stammt von Studio Bens); Das / bedeutet einen Absatz. Großschreibung ist hier wie im Buch verwendet.

Auf der folgenden Seite heißt es „Der Duden sagt: Gloria, [das oder die] Ruhm, Glanz, Herrlichkeit“, und auf der nächsten Seite „für s i e“. Ungewöhnliche Formatierungen sowie unterschiedliche Schriftarten und -größen sind markante gestalterische Entscheidungen, die sich durch das ganze Buch ziehen und die Lesart des Textes stark beeinflussen. Dabei gibt es regelmäßig wiederkehrende Formatierungen: Blockabsatz, mittig in „“, mittig mit Name:, linksbündig mit Name:, mittig in fett gedruckt und anderer Schriftart und unterschiedlichen Schriftgrößen so kommt zum Lese- ein visuelles Erlebnis. Inwieweit diese Setzung beim Verfassen des Textes schon entschieden war oder eine Rolle spielte, ist nicht zu sagen. Eine Lesart, die besonders die unterschiedliche Formatierung und die große, Slogan-artige Schriftart unterstützen, ist das Erzählen wie in amerikanischen Fernsehserien, in der Töne, Schriftzüge auf Aufstellern, Sprüche im Radio und gehörte Gesprächsfetzen mit einfließen. Es entsteht ein filmisches Erlebnis.

Das Buch ist in drei Teile unterteilt (mit jeweiligen Unterkapiteln): I. The kids are (not) alright!, II. Personen des (öffentlichen) Lebens! und III. Babylon: Wien!. Die Überschriften der Unterkapitel sind im Verlauf des Textes immer anschlüssig und nur durch die Schriftart markiert, wirken teilweise mehr wie dazwischengesetzte Kommentare als vorangestellte Titel.

Besonders markant ist der überdurchschnittlich oft und zu unterschiedlichen Zwecken gebrauchte Doppelpunkt. Klassisch eingesetzt und im dramatischen Stil angelegt, kennzeichnet er wörtliche Rede mit „Name:“, das geschieht sowohl linksbündig als auch zentriert. Eine andere für diesen Roman charakteristische Verwendung ist die künstlerische Verwendung des Doppelpunktes, um einem Beisatz oder Detail besondere Aufmerksamkeit zu geben oder in der Erzählung die Betonung zu markieren. So schreibt der Autor auf Seite 176: „Ferdi: reichte ihm die Hand, doch: Johann: lehnte ab, stattdessen: umarmte er ihn und setzte sich: dann zu uns.“ In diesem Satz sind gleich mehrere Gebrauchsarten des Doppelpunktes sichtbar. Einige Doppelpunkte (künstlerisch verwendet) ergeben rein grammatikalisch keinen Sinn und lassen sich nur verstehen als Emphase oder Akzente der wörtlichen Rede. Das erzeugt eine Art ellipsenhaftes Sprechen: eine Art Sprechen, das wie in Stichpunkten erscheint.

Abgesehen von den aufgeführten Punkten ist der Roman zudem überladen mit Referenzen, Meinungen, Slogans, Zuschreibungen, Anspielungen, deren Fülle hier gar nicht vollständig dargestellt werden kann. Die Referenzen sind klar, die Parallelen deutlich, die Anspielungen erkennbar – jedoch: Was bleibt davon? Was verwundert, ist die mehrfache Markierung als Fiktion – am Anfang als Teil des Texts und am Ende in den Verlagsangaben nochmals.

Gleichzeitig spielt der Roman an sehr realen Orten, verweist auf reale Veranstaltungen, Personen, Zeitungen, Theater etc., und spielt mit dem Wissen darüber, das der Roman bei den Lesenden sehr wohl voraussetzt, um das vermeintliche Augenzwinkern zu verstehen. So ist es auf Seite 181 das Gorki Theater in Berlin, auf Seite 188 die König Galerie usw. Auch die Nähe von Autor und Protagonist fällt relativ früh im Buch auf, wird gleichfalls vom Buch auch bemerkt bzw. im Buch durch das Sprechen des Protagonisten über wiederum sein Buch (im Buch) und die ebenfalls auffallende Nähe zu seinem Protagonisten (im Buch im Buch) somit über ein Dreieck kommentiert.

Durch diesen Vorgang, dass der Roman viele Ahnungen und Auffälligkeiten schon selbst markiert und kommentiert, geschehen zwei Dinge: Zum einen sind dem Text die eingebauten Knotenpunkte sehr wohl bewusst. Gleichzeitig unterstellt der Text den Lesenden regelrecht eine Haltung, indem er stets markiert, aber nie direkt ausspricht, und dabei voraussetzt, dass sie das Wissen besitzen, die Zeichen selbst zusammenzusetzen. Zugleich scheint er darauf zu lauern, dass die Lesenden Vorurteile formulieren, in Klischees tappen und Schlüsse ziehen.

Der Roman liest sich als Anprangerung einer bestimmten Kulturszene und demonstriert Wut und Frust, was in der Erzählung immer stärker in Zynismus übergleitet und Figuren und Orte karikaturhaft erscheinen lässt. Über 295 Seiten erscheinen die Beobachtungen dieser Erfahrungen in den Zwanzigern des Protagonisten oft treffend, die Sorgen und Gelüste nachvollziehbar und das gewollte, gesuchte Tempo des Textes realistisch – und trägt doch nicht über die ganze Länge des Romans : Der Textanfang ahnt selbst das Ende schon so voraus, dass es fast zu einfach erscheint, als man endlich dort angelangt ist.

 

Maren Sophia Streich, geb. 1993 in Berlin, lebt in Wien. Studierte Komparatistik an der HU Berlin, Gesellschaftskommunikation an der UdK Berlin sowie Schauspiel am Max Reinhardt Seminar und absolvierte einige Schreibklassen. Ihr Schreiben entwickelt sie über die Praxis im Schauspiel und begreift die Tätigkeit der verschiedenen Bereiche als Mosaik, in dem man erst denken kann. Sie schreibt Drama, Prosa und manchmal Essays. Erschienen sind ihre Texte u. a. im Process*in Magazine, Komplex Kulturmagazin und mosaik freiTEXT. Uraufführungen im LOT/Brotfabrik Wien, Alsergrunder Kultursommer, Wiener Kultursommer und Theaterforum Schwechat, sie erhielt Stipendien der Stadt Wien und vom BMKÖS, hat das LOT in der Brotfabrik mitgegründet und aufgebaut und war bis Ende 01/2023 Teil des Leitungsteams. Außerdem schreibt sie Artikel, u. a. für gift – zeitschrift für freies theater  und das Kulturmagazin bohema und arbeitet im kulturpolitischen Bereich.

Arad Dabiri GLORIA!
Roman.
Berlin: Korbinian Verlag, 2024.
300 Seiten, Hardcover, gebunden.
ISBN 978-3-9824602-6-0.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autor

 

Rezension vom 10.02.2025

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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