Di, 18.2.2025, 19.00 Uhr
#LESUNG
#PROSA

Gerhard Rühm
zugvögel – 36 prosa-miniaturen + eine zugabe

Ritter

¡Jubiläum!

Lesung: Gerhard Rühm
Moderation: Florian Baranyi

Kurz nach seinem 95. Geburtstag stellt Gerhard Rühm im Literaturhaus Wien seinen aktuellen Band zugvögel – 36 prosa-miniaturen + eine zugabe vor. Darin aktualisieren Gerhard Rühm und Martina Kudláček ein Schreibverfahren, das auf die Gemeinschaftsarbeiten der Wiener Gruppe zurückgeht. Kudláček verfasste spontan Listen von je zwölf Begriffen, die Rühm als Ausgangsmaterial zur Herstellung von (teils gemeinsam formulierten) Prosa-Miniaturen verwendete: jede ein singuläres Text-Individuum variierender Form, in dem sich Wirklichkeitssubstrate und Phantastisches auf spielerische Art miteinander verbinden.
Kleinstereignisse wie das In-den-Mund-Führen einer Mandarine oder Wundersames wie eine sich schier endlos ausbreitende Portion schwarzen Kaffees im Wörthersee entspringen den semantischen Keimen der vorgegebenen Vokabularien. Banales erweist sich als nicht weniger rätselhaft als das Monströse. Es sind schroffe Welten mit durcheinandergewürfelten Perspektiven und Dimensionen: Von großer Entfernung besehen wachsen der Erde Ohren oder es wehen Sonnenstürme durch den Zuschauerraum eines Theaters. Die Verbindung des Unvereinbaren versetzt Begriffe ins Wanken und erzeugt ambiguose Atmosphären zwischen fragiler Behaglichkeit, durchaus auch Glücksmomenten und diffuser Bedrohung, Wandel und Verfall. Ein Ensemble an Fotografien (Stillleben, Fundstücke, Kompositionen) transponiert derlei Stimmungen in visuelle Vorstellungskomplexe.
Die in zugvögel angewandte Praxis eines methodengeleiteten Surrealismus gewinnt unter heutigen medialen Bedingungen besondere Brisanz: Zeitigt das Ausführen sogenannter „Prompts“ durch literarische KI-Anwendungen i.d.R. belanglose Zufälligkeiten, erweitert, vertieft und bereichert die Interaktion von zwei kreativen Ingenien die dichterische Arbeit um mannigfaltige Bezüge. Selten finden Lebensweltliches und persönliche Geschichte, Galaktisches und Übersinnliches in derartiger Evidenz zusammen. Zugleich bildet das aktualisierte Schreibverfahren in zugvögel – 36 prosa-miniaturen + eine zugabe eine Klammer, die sich mit den ersten Gemeinschaftsarbeiten der Wiener Gruppe vor fast 70 Jahren öffnet – jener Zeit als Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer, Oswald Wiener und Gerhard Rühm etwa „ganze sätze“ als „fertige bestandteile zueinander in neue, poetische beziehung“ setzten und Sprache als Material begriffen, dessen Bearbeitung durch Montagetechniken für die Protagonisten zu „einem geschärften blick für die poesie“ führte, wie Rühm 1968 in seinem Vorwort zu den gemeinsamen Texten den Wiener Gruppe schreib. „die wahrnehmung bewegt sich in phasen: ihre ‚wirklichkeit‘ hat sprünge“, das gilt noch heute, am anderen Ende der zeitlichen Klammer.

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