... aus der Textwerkstatt

Louis Hildebrandt

arbeitet an einem längeren Prosatext, in dem es bisher um eine autofiktionale Annäherung an das Jetzt durch das Abwickeln von Schnüren der Erzählung und Erinnerung geht. Als Vorgeschmack hier ein Abschnitt daraus. (Sabine Schönfellner / Leiterin der Textwerkstatt)

III
Ich bin jünger, dreizehn vielleicht, zwölf, und liege im Bett. Nein – sitze im Bett,
zwei dicke Kissen im Rücken, einen kleinen Plüschfußball hinter dem Kopf, den habe ich zweimal: einmal bei Mama, einmal bei Papa, werfe ihn bei meinem Vater an die Altbaudecke, vier Meter fünfzig, gerade nach oben und fange, werfe und fange, werfe, fange, das mache ich heute noch; jetzt in meiner Wohnung, in Wien, Altbau, weiß und bröckelnder Putz, werfe, hellhörige Wände, sehr hellhörig, fange, werfe, ich denke, meine Nachbarn oben hören den Plüschball an ihren Fußboden klopfen, fange, werfe ihn an die Decke, fünf Meter zwanzig, fange, werfe und fange, werfe, fange, werfe, werfe, werfe, er landet neben dem Bett, ich verharre, es wird still.
Ich bin jünger, dreizehn, ich sitze im Bett, hüftabwärts eine Decke, zwei Kissen im Rücken, Plüschball hinterm Kopf, Beine ausgestreckt, darauf ein Frühstückstablett und – was noch? ein Laptop? ein Buch? oder gar nichts?
Es gibt sicher Blaubeeren. Auf den Frühstückstabletts gab es immer Blaubeeren; wenn ich Glück hatte, als Topping auf zwei Eierkuchen, Verzeihung, Pfannkuchen, Palatschinken, aber sonst auch als Deko, neben Humus in Eierbechern, gelborangenem Saft, Tomaten, Salzstreuer aus dunkler Keramik, Erdbeeren. Es gab auch oft Erdbeeren.
Es ist Sonntag. Meine Schwester liegt im Durchgangszimmer neben mir, frisch in die Schule gekommen, hört Hörspiel, Hexe Lilli ziemlich sicher, meine Mutter in der Küche, hört Musik, Daughter ziemlich sicher oder Woodkid oder liegt auch im Bett, schaut eine Serie, es ist friedlich.
In dem Zimmer, in dem ich liege – sitze, steht ein Riesenschrank. Aus Holz, mit schwarzem, verspiegeltem Glas in den Türen, meine Mutter hat ihn gekauft, mein Zimmer ist groß genug, alle andren zu klein, ich habe das größte, jetzt ist er mir. Mama hat sowieso die gesamte Wohnung eingerichtet, ich glaube, man nennt es Vintage heute, alle meine Freunde, Freundinnen überwiegend, waren hin und weg, sagten heimisch und wohlig, ich fand es schön und sagte nichts.
Mein Bett hat keinen Lattenrost, die übergroße Matratze liegt auf weiß angepinseltem Pressholz, zusammengeschraubt von einem Exfreund, mit Schubladen, hab sie nie aufgemacht, in einer liegen Kuscheltiere, die anderen hat meine Mutter benutzt, ein Regal aus Stahl, offene Schrauben, Vintage, braune, schwere Vorhänge, schön, alles sehr schön, war alles von ihr. Meine Mutter hat sehr viel von ihr an mich weitergegeben.
Irgendwann geht der Staubsauger an. So war meine Mutter eigentlich nicht, aber jeden Sonntag, immer wenn es mittags Frühstück ins Bett gibt – ich erinnere mich, wie sie beginnt, mir auch einen Kaffee daraufzustellen, viel Schaum, Zucker und Zimt – immer, wenn es spätmittags Frühstück ins Bett gebracht gibt, geht irgendwann der Staubsauger an. Erst vom weiten, erst kann ich ihn überhören, durch meine Videos, Jettes Hörspiel (ihr Hörspieler war ein antiker Plattenspieler mit CD-Player, ein Geburtstagsgeschenk, Vintage), kann ihn übertönen, aber er kommt haltherzig erst in das Zimmer meiner Schwester, übertönt ihr Maulen, wenn sie zu viel meckert, und sie meckert zu viel, übertönt auch die Zurechtweisung meiner Mutter, dann klopft er an meine Tür. Ich habe ihn immer ignoriert, weitergeschaut, vielleicht lässt sie mich, dann klopft er an meine Tür.
Ich erinnere mich an die pubertären Gedanken, was ist das mein Problem, warum macht sie ihren Bewegungsdrang zu meinem Problem, aber ich habe die Aufgabe liebevoll aufgegeben, und ich wehrte mich nicht, ich habe sie immer gemacht.
Bis heute habe ich eine Allergie gegen Hausstaub. Ich niese mir mein Hirn aus der Nase, viel zu laut jeder Nieser, meine Augen tränen, ich komm stundenlang mittelmäßig bis schwer klar, wenn nur mein Bett umgeschoben wird.
Mir fällt gerade auf, vielleicht ist das Quatsch, aber die Allergie habe ich ausschließlich bei mir, in meinem Zimmer, in meiner Wohnung, bei mir zuhaus. Während des Umzugs nach Wien habe ich das ganze Haus wachgehalten, wir haben bis nachts getragen, um fertig zu werden, ich musste unentwegt niesen, es hat sich niemand beschwert, aber ich weiß, dass sie wach waren; wie gesagt: hellhörig.
Als sie dann zwei Wochen später auch hierhergezogen ist, ich zwischen ihren Möbeln, Büchern, Klamotten, Stoffen stand, über ihre Matratze gebeugt, im Stiegenhaus, auf der Kellertreppe; es hat mich nicht einmal gejuckt.

Louis Hildebrandt © privat

Louis Hildebrandt, geboren am 16.01.2004 in Weimar, bestand dort 2022 sein Abitur und begab sich im folgenden Halbjahr auf Wanderung. Den Winter lebte und arbeitete er im Alois-Güntherhaus in den Fischbacher Alpen. Seit September 2023 lebt Louis Hildebrandt in Wien und studiert an der Universität Wien Vergleichende Literaturwissenschaft.

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