„Wer wir heute sind, verdanken wir jenen, die vor uns da waren.“ Mit diesem Satz begann die Ausschreibung einer Schreibwerkstatt, die das Literaturhaus Wien gemeinsam mit dem Verlag edition exil Ende 2020 ins Leben gerufen hatte. Im Gegensatz zu anderen Schreibwerkstätten sollten sich in der exil.Literaturhauswerkstatt junge Schreibende über einen längeren Zeitraum regelmäßig treffen – online und/oder analog –, um sich über ihr Schreiben auszutauschen und ihre so entstandenen literarischen Texte schlussendlich vor Publikum zu präsentieren und auch in einer gemeinsamen Anthologie zu veröffentlichen. Das alles unter dem Motto „Fremdsein“ und „Leben zwischen Kulturen“ und unter Obhut von Schriftsteller Thomas Perle.
Die Ausschreibung richtete sich an Jugendliche von 14 bis 20 Jahren, die sich bis 15.01.2021 mit ihren Texte bewerben konnten. Viele gingen der Aufforderung nach. Wie auch die Autorin dieses Textes. Es sollte der Beginn eines neuen Kapitels für viele werden. Lesen Sie selbst…
Wie alles begann…
Nämlich online. Es war Februar 2021, es war kalt und die Autorin dieses Artikels glaubt, sich sogar daran erinnern zu können, dass es draußen schneite.
Eine E-Mail im Posteingang teilte allen Bewerber:innen mit, wann die Werkstatt stattfinden würde, und so saß eine überschaubare Anzahl junger Schreibender an besagtem Tag vor ihren Bildschirmen und begegnete sich zum ersten Mal.
Bei manchen waren die Gesichter verpixelt, bei manchen spielte das Internet nicht mit. Der Großteil war noch etwas zurückhaltend, nervös vielleicht, die meisten aber gespannt. Alles in allem war es der Beginn der exil.Literaturhauswerkstatt und mit diesem eine angenehme und bereichernde Abwechslung zum Winter 2021, der hauptsächlich aus Kälte, online-Uni und gelegentlich aus vorsichtigen Spaziergängen bestand.
Mit den Lockerungen der Covid-Maßnahmen lernten sich die Teilnehmer:innen des Workshops nach und nach auch analog kennen: Wir Schreibende trafen uns zum ersten Mal. Anfangs noch mit Babyelefanten-Abstand, im Augarten spazierend und die Lippen vor Kälte blau. Dann irgendwann in den warmen Räumlichkeiten des Literaturhauses Wien, zwischen Bücherregalen und mit Notizblöcken und Laptops vor uns.
Immer mit dabei: Thomas‘ Lautsprecher und Laptop, auf welchem die anderen Teilnehmer:innen per Zoom aus Deutschland zugeschaltet wurden. Sogar aus einer anderen Zeitzone hatten wir im virtuellen Raum immer wieder Besuch, denn eine Teilnehmerin war aus Washington, USA. Der kreative Austausch funktioniert(e) auch über Ländergrenzen hinweg.
Vom Zoom-Call auf die Bühnen
Im Oktober 2022 dann endlich die Präsentation der lang ersehnten, in der edition exil erschienenen Anthologie wortgewalt im Literaturhaus Wien, an der die Teilnehmer:innen mit Thomas Perle und der Verlegerin Christa Stippinger über einen größeren Zeitraum gefeilt hatten. Diese Vorstellung war eine von vielen Lesungen, welche die exil.Literaturhauswerkstatt mit Thomas Perle im Laufe der letzten zwei Jahre auf die Beine gestellt hat. Unsere Worte fanden an den unterschiedlichsten Orten Platz und Gehör: von der Literaturmeile in der Wiener Zieglergasse über die Bühne des Literaturhauses Wien bis zur Leipziger Buchmesse – unsere Texte wurden gehört und wir, die Schreibenden dahinter, gesehen.
Was die anderen sagen
Um diesem Artikel eine Multiperspektivität zu verleihen, hat die Autorin sowohl ehemalige, aktive, als auch neu hinzugekommene Mitglieder der exil.Literaturhauswerkstatt befragt. Alle fünf Teilnehmerinnen betonen die gute Atmosphäre, in welcher der Schreibworkshop stattfindet, und die Wertschätzung, mit der ihnen und ihren Texten begegnet wird.
Was die exil.Literaturhauswerkstatt im Gegensatz zu anderen Werkstätten auszeichnet? Katharina Forstner, in Linz 2002 geboren, fasst es gut zusammen: „In der Werkstatt werden wir als Schreibende ernst genommen, im Gespräch über die Texte und allem danach: Lesungen, Veröffentlichungen, Präsentationen. Die Texte werden einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wir bekommen dafür Honorar, all das gibt unserem Schaffen zusätzlichen Wert.“ Katharina hat dieses Jahr ihren Bachelor in Germanistik abgeschlossen und wird ab Herbst 2023 am Literaturinstitut der Universität Hildesheim Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus studieren – und die Werkstatt somit verlassen.
Anna Rotter, geboren 2005 in Wien, begeistert sich neben dem Schreiben für das Musizieren mit dem Kontrabass, mit dem sie die Präsentation der Anthologie wortgewalt im Herbst 2022 begleitet hat. Diese Lesung zählt Anna zu den Highlights ihrer bisherigen Zeit in der Werkstatt. „Ein Ergebnis als Gruppe in Form eines Buches präsentieren zu können, war ein sehr schönes Erlebnis“, meint Anna. Auch den Austausch mit anderen empfindet sie als inspirierend und wünscht sich für die Zukunft, noch mehr von Schreibübungen, Workshops und Stimmtrainings lernen zu können.
Im Gegensatz zum Großteil der Teilnehmenden hatte Ella Steinbacher bis zur exil.Literaturhauswerkstatt wenig Erfahrung mit Schreibwerkstätten. Ella, geboren 2002 und aufgewachsen in Augsburg, studiert aktuell Biologie in Wien. Auch sie teilt ihre Erfahrungen mit uns: „Wirklich schön finde ich, dass der Workshop von Anfang an einen sicheren Raum für sehr viel Verletzlichkeit und Ehrlichkeit geboten hat. Ich weiß noch, dass ich das vor allem im ersten halben Jahr als ein bisschen therapeutisch wahrgenommen habe.“ Die Online-Termine haben Ella unter anderem geholfen, beim Schreiben am Ball zu bleiben und sie dazu inspiriert, nach den monatlichen Treffen um 21 Uhr selbst zu schreiben. Doch auch diese Werkstatt ist vor Veränderungen nicht gefeit: „Mit fortschreitender Zeit sind unsere Treffen etwas zerfasert – einige Menschen sind weggezogen oder haben gar nie in Wien gewohnt, was bei Präsenzverabredungen natürlich ein Hindernis darstellt. Daher find‘ ich es ganz gut, dass es eine neue Welle von motivierten Teilnehmer:innen gibt und hoffe, dass die Lese- und Gesprächsrunden wieder voll(er) besetzt sein werden.“
Paula Dorten, Jahrgang 2005, ist neben dem Schreiben als Klimaaktivistin tätig und kam im Frühjahr 2023 zur exil.Literaturhauswerkstatt mit Thomas Perle neu dazu. Davor nahm sie online an der exil-Werkstatt mit Julya Rabinowich teil. Sie hat schon in der Vergangenheit Erfahrung mit verschiedenen Schreibwerkstätten sammeln können, beispielsweise bei der Schreibakademie Mödling und bei Workshops, die bei Poetry Slams angeboten werden und für die Paula regelmäßig auf der Bühne steht.
Paula nimmt sich von der exil.Literaturhauswerkstatt einiges für ihre eigene Zukunft mit: „Das gegenseitige Teilen von Text-Neugeburten, das Lesen und voneinander Lernen ist unglaublich wertvoll. Manchmal müssen Texte ruhen und von anderen Ohren gehört werden, um rund zu sein.“
Das angenehme Klima in der Werkstatt hebt sie ebenfalls hervor. „Statt zu Vergleichen und Konkurrieren (was uns in der Leistungsgesellschaft nun einmal dauernd vorgelebt wird) lieber fremde Blickwinkel sammeln und eigene Perspektivenstücke schenken. Dann können wir Schreibhorizonte gegenseitig erweitern, das ist voll schön.“ Finden wir auch.
Für die Lesung bei der Literaturmeile Zieglergasse im September 2022 ist Michelle Schreiber sogar nach Wien gereist und hat davor die Werkstatt im analogen Setting kennengelernt. Bei der Leipziger Buchmesse im April 2023, bei der Österreich Gastland war und die exil.Literaturhauswerkstatt zwei Lesungen veranstaltete, konnte sie wiederum einigen Schreibenden ihre Wahlheimat Leipzig zeigen.
Michelle, Jahrgang 2002, ist in Frankfurt aufgewachsen und studiert aktuell Germanistik und Romanistik in Leipzig. Sie gehörte zu den Teilnehmer:innen, die bei der Werkstatt digital zugeschaltet waren. Wie sie die Lesungen wahrgenommen hat? „Auch wenn die Rahmen, in denen die Lesungen stattfanden, relativ klein waren, fand ich schön, wie wir durch sie das Miteinander und Zusammensein gefeiert haben.“ Das Beieinandersein und die Unterstützung der anderen beim Lesen haben Michelle dabei viel gegeben.
Da der Workshop nicht mehr online angeboten wird, ist Michelle kein Teil der Werkstatt mehr. Sie blickt dennoch weiterhin gern auf die Zeit zurück. „Die exil.Literaturhauswerkstatt war ein safe space für mich; ich habe davor schon an anderen Schreibworkshops teilgenommen und bei einem hatte ich das Gefühl, dass nicht sensibel mit meinem Text umgegangen wurde.“ Dieses Gefühl hatte sie bei der Werkstatt im Literaturhaus Wien nicht. „Da gab es kein Konkurrenzdenken, keine Eifersucht und wir waren in einem Kontext, der wohlwollend war. Jede:r hat aufeinander geachtet und war füreinander da.“
Michelle nimmt sich viele Freundschaften und Kontakte aus der Werkstatt mit. Den Kontakt zu den anderen Schreibenden hält sie bis heute aufrecht. „Ich hoffe, dass diese Freundschaften mich weiterhin tragen werden und mir erhalten bleiben.“
Weitergewachsen, weitergetragen
Zum Schluss möchte die Autorin des Artikels selbst noch ein paar Sätze hinzufügen:
Thomas hat mir durch den Workshop nicht nur literarische Techniken und Übungen gezeigt, er hat uns ermutigt, sich mit unseren Identitäten und Wurzeln auseinanderzusetzen und dabei nicht kompetitiv zu denken. Ich stimme meinen Gesprächspartnerinnen zu, wenn sie sagen, sie hätten eine angenehme und keine Konkurrenz getriebene Atmosphäre bei der Schreibwerkstatt erlebt. Da ist stets ein wertschätzender Umgang in den Gesprächen und in den Bearbeitungen der Texte, der trotzdem konstruktiv bleibt. Das ist etwas, das diese Werkstatt auszeichnet und für mich so wertvoll macht.
Aus Jugendlichen sind junge Erwachsene geworden, ich durfte viele Bekannte, die ich jetzt enge Freund:innen nennen kann, dabei begleiten, wie sie Lesungen hielten, Texte veröffentlichten oder begannen, journalistisch zu arbeiten.
Ich durfte in den vielen Jahren schon einige Schreibwerkstätten besuchen und heute kann ich sagen, dass sich selten mir von Grund auf unbekannte Personen so schnell in mein Herz hineingeschlichen und -geschrieben haben wie hier. Für diesen intensiven, literarischen und wohlwollenden Austausch bin ich sehr dankbar und hoffe, dass er uns noch länger bleibt.
Da ist viel geschehen, da wird noch viel passieren. Da reift viel, Menschen wie Ideen, und über allem ist da viel Dankbarkeit. Immer im Wissen, dass wir alle ein Stück (mit)einander wachsen konnten. Immerhin verdanken wir jenen, die mit uns waren, wer wir heute sind.