Dieses politische Engagement äußerte sich auch in ihrer publizistischen Arbeit. Lili Körber schrieb für politisch linke Periodika wie die „Wiener Arbeiter-Zeitung“, „Bildungsarbeit“, die „Rote Fahne“ und die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ)“. Gemeinsam mit Anna Seghers und Johannes R. Becher folgte sie 1930 einer Einladung des Moskauer Staatsverlags zu einer Reise in die Sowjetunion. Sie wollte die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Menschen kennenlernen, indem sie mehrere Monate als Bohrerin in den Putilow-Traktorenwerken in Leningrad arbeitete, ein Betrieb mit einer „bekannte[n] Geschichte revolutionären Widerstandes während der Zarenzeit“ (Hertling 1982). Ihre Erfahrungen verarbeitete sie in dem Tagebuch-Roman „Eine Frau erlebt den roten Alltag“, der 1932 bei Rowohlt Berlin erschien, 239 Seiten umfasst und dessen Umschlag von John Heartfield gestaltet wurde. Körber arbeitete im Genre des dokumentarischen Romans, indem sie neben den Tagebuchnotizen, die authentische und persönliche Erfahrungen vermitteln, auch Dokumente wie Lohnzettel oder Seiten aus ihrem Arbeitsbuch reproduzierte.
Lili Körbers Roman „Eine Jüdin erlebt das neue Deutschland“ von 1934 gehört zu den ersten gegen den Faschismus gerichteten Büchern, die der Übergangszeit zwischen dem Ende der Weimarer Republik und der Etablierung des NS-Staates gewidmet sind. In ihm wird die ideologische Durchdringung der Gesellschaft prägnant beschrieben. In der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums (Stand Oktober 1935) werden „Sämtliche Schriften“ von Lili Körber indiziert. 1933 gehörte „Eine Frau erlebt den roten Alltag“ zu den verbrannten Büchern. Eine 1934 nach Japan und China unternommene Reise fand literarischen Ausdruck in der Reisereportage „Begegnungen im Fernen Osten“ (Biblios Verlag, Budapest 1936) und in „Sato-San, ein japanischer Held. Ein satyrischer Zeitroman“, eine 1936 in der Wiener Lesegilde erschienene Beobachtung des japanischen Faschismus, die auch als Hitler-Parodie lesbar ist. Körber ließ sich auch durch die Verbrennung und das Verbot ihrer Bücher im Nationalsozialismus nicht davon abhalten, politisch zu publizieren.
Kurz nach dem sogenannten Anschluss Österreichs floh Körber aus Wien über einen Zwischenstopp in Zürich nach Paris, wo sie für Schweizer Zeitungen und das Pariser Tageblatt schrieb. Noch ab April 1938 erschien in der sozialdemokratischen Zeitung „Volksrecht“ in Zürich der Fortsetzungsroman „Eine Österreicherin erlebt den Anschluß“, in dem Körber unter dem Pseudonym Agnes Muth ihre Beobachtungen in der bereits bewährten Form eines Tagebuch-Romans verarbeitete. Schließlich emigrierte sie im Juni 1941 mit Unterstützung des Emergency Rescue Committees über Lissabon nach New York, wo sie als Fabrikarbeiterin und Krankenschwester tätig war. Ihre schriftstellerische Tätigkeit war nur noch stark eingeschränkt möglich, neben wenigen Zeitungsartikeln, etwa in der in Buenos Aires erscheinenden Emigrantenzeitung „Das andere Deutschland“, publizierte sie 1942/43 in der deutschsprachigen New Yorker „Anti-Nazi Newspaper“ „Neue Volks-Zeitung“ noch den Fortsetzungsroman „Ein Amerikaner in Russland“, der als Kritik am Stalinismus gelesen werden muss. 1949 entstand ihr englischsprachiger Roman „Farewell to Yesterday“, der unveröffentlicht blieb. In Deutschland und Österreich geriet Körber als Folge politischer Verfolgung, der Konfiszierung und Zerstörung ihrer Bücher und ihrer Emigration ins Vergessen. Heute befindet sich ihr literarischer Nachlass im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 in der Deutschen Nationalbibliothek. Nur vereinzelt wurde Lili Körber in den vergangenen Jahrzehnten wieder in den Blick gerückt. In den 1980er Jahren kam es zu Neuausgaben einiger ihrer Bücher, Forschungsliteratur zu Körbers Texten wurde in den 1990er Jahren publiziert.
Die Tagung soll Lili Körbers Œuvre erstmals aus interdisziplinären Perspektiven diskutieren und als Beispiel einer von Dis:konnektivitäten geprägten Werk-Biografie betrachten. Die Autorin soll in den größeren Kontexten von Politik, Literatur, Kunst und Gender in einer von politischen Umbrüchen bestimmten Zeit verortet werden. Von dieser Auseinandersetzung mit der politisch schreibenden und schriftstellerisch politisch handelnden Lili Körber versprechen wir uns auch einen möglichen Blick zurück in unsere Gegenwart, die zunehmend von Extremismus, Rassismus und Antisemitismus geprägt ist.
Wir laden ein, sich mit Beitragsvorschlägen für ca. 20minütige Vorträge an uns zu wenden. Themen – gern in größerer Perspektive, aber in Rückbezug auf Lili Körber – könnten sein:
- Sozialistisches Publizieren, politische schriftstellerische Arbeit
- Beiträge zu Lili Körbers literarischem Oeuvre zwischen Zeitroman und Exilliteratur
- Künstlerische und politische Netzwerke vor, während und nach der Exilierung
- Reiseliteratur von Schriftsteller*innen
- Russlandreisen (vgl. etwa zu Grosz (Kunst), Erich Mendelsohn (Architektur), Valeska Gert (Tanz) usw.)
- Schriftsteller*innen auf Japan- und Chinareisen in den 1930er Jahren
- Verbrannte Bücher
- Jüdische Sozialistin
- Widerstand gegen den NS, antifaschistische Romane
- Schreiben im Austrofaschismus
- (Linke) Antistalinistische und antikommunistische Journalistik und Literatur
- Exile (Schweiz, Paris, New York)
- Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Verlage