#Lyrik

100.000 verkaufte Exemplare

Martin Amanshauser

// Rezension von Sabine Dengscherz

Wovon verkauft man 100.000 Exemplare? Doch sicher nicht von Gedichtbänden, oder? Martin Amanshauser ist mit 100.000 verkaufte Exemplare allerdings ein Gedichtband der besonderen Art gelungen. Einer, den der Deuticke-Verlag in seine Lyrik-Reihe aufgenommen hat, obwohl diese eigentlich für Jahre im Voraus ausgebucht war. Einer, der witzig, spritzig, frech und manchmal an der Grenze des guten Geschmacks von den wichtigen Dingen des Lebens handelt: Liebe, Sex, Katerstimmung, Schreiben, Liebe, Sex und Katerstimmung. Und sonst noch einiges.

Wie sich doch alles wiederholt. Und trotzdem immer neu sein kann. Amanshauser liefert keine literarischen Experimente, er gibt auch nicht vor, das Rad neu erfunden zu haben. Er scheint auch keinerlei ernsthafte Ambitionen zu hegen, zeigt kein Interesse, sich den Schönen Künsten anzubiedern. Und vielleicht sind seine Texte deshalb so erfrischend originell. Eine zeitgemäße Antwort auf die kleinen Freuden und Ärgernisse des Alltags, teils verzerrt ins Absurde, teils lakonisch-realistisch, scheinen manche Texte die humoristische Tradition eines Ringelnatz oder Wilhelm Busch fortzuschreiben, während andere eher die Frage evozieren, ob François Villon vielleicht ähnlich geschrieben hätte, wäre er ein Kind unserer Zeit gewesen, und wieder andere sträuben sich einfach gegen jeden Vergleich.

Die Schauplätze sind meist städtische, Wien oder Graz, Wirtshäuser, Busstationen, Privatwohnungen. Das Banale wird zur Kunst erklärt, als Kunst verpackt, mit Reimen und Pointen versehen. Auf „Durchlauferhitzer“ folgt „Tiefkühlpizza“ und ganz nebenbei erfahren wir über den Dichter, er sei „ein einsamer wolf / trinkt selten schnaps; spielt niemals golf (…) mag hitler ungern, findet lenin besser“ und schließlich: „2x die woche muss er laut vertrag die musen küssen / die immer (auch bei grippe) mit ihm schmusen müssen“ bis dann am Abend das Ergebnis folgt, wenn der Dichter „säuft sprudelwein bei kerzenlicht / und dichtet manchmal ein sonettgedicht“. Der Witz dieser Gedichte liegt tatsächlich meist in der Banalisierung bzw. Ironisierung des Thematisierten. Am besten entfalten sie ihren Charme bei einer Lesung – Amanshauser ist ein großartiger Interpret seiner Texte.

Der vorliegende Band versammelt Gedichte aus den Jahren 1984 bis 2001, die aber nicht chronologisch, sondern thematisch zusammengestellt sind, in neun Abschnitte gegliedert, die da reichen von „100.000 verkaufte Exemplare“ über „300.000 Narren und Pferde arbeiten“ bzw. „500.000 Meerschweinchen kämmen“ oder „800.000 Bananen und Affen“ bis man dann am Ende „900.000 Aspirin in Reichweite“ braucht. Diese Anordnung macht es schwer, die künstlerische Entwicklung des Autors nachzuvollziehen (zumal die Gedichte teilweise überarbeitet wurden) und gleicht eher einer Bestandsaufnahme, einem Querschnitt durch die letzten gut 15 Jahre.

Dennoch lassen sich ein paar Tendenzen feststellen. Etwa jene vom Erzählen hin zum Zitieren. Oder von Reimen hin zu weniger gebundener, dafür umso komplexerer Sprachverwendung. Oder von vordergründigem Witz zum absurden Humor. Der Band besticht aber nicht zuletzt durch das Nebeneinander der verschiedenen Lyrikformen aus den diversen Schaffensperioden eines Autors, das für Abwechslung und auch immer wieder für Überraschungsmomente sorgt.

Martin Amanshauser 100.000 verkaufte Exemplare
Gedichtband.
Wien, Frankfurt: Deuticke, 2002.
206 S.; brosch.
ISBN 3-216-30630-5.

Rezension vom 10.07.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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