Wo die Schüsse von Sarajevo den vermeintlichen Frieden der guten alten „Backhendlzeit“ (Hermann Broch) im verklärt-verspotteten „Kakakinen“ jäh und spektakulär durchbrachen, war die endgültige Filetierung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie 1918 im Grunde nur noch formelle Konsequenz einer schwärenden Korrosion. Schon lange zuvor war das Reich – wie die berühmten „modrigen Pilze“ des Hofmannsthalschen Lord Chandos – von innen her mürbe geworden. Den Nähboden für diese Gärungs- und Fäulnisprozesse, so der Wiener Politologe Michael Ley in seiner Habilitationsschrift, gaben einerseits die wuchernden Nationalismen innerhalb des Vielvölkerreichs ab, zum andern der spätestens seit Georg Schönerer und Karl Lueger politisch kapitalisierte Antisemitismus. Die detailreiche Studie seziert nicht nur die Wurzeln dieser giftigen Gewächse, sondern verfolgt sie auch bis in ihre „perversesten Auswüchse“ – Jörg Lanz von Liebenfels und Adolf Hitler – hinauf. Darüber hinaus offeriert Ley die These, daß sowohl Nationalchauvinismus als auch Antisemitismus in Gestalt von (säkularen) politischen Religionen aufgetreten sind: Mit Hohepriestern und Häretikern, Eschatologien und Apokalypsen. Darüber darf – nach 1933, 1938, 1945 – nun diskutiert werden: Nicht nur im kakanischen Jammertal.
Christiane Zintzen
18. Jänner 2001