#Roman

Als ich jung war

Norbert Gstrein

// Rezension von Walter Fanta

Well done!

Gut durch! Erzählerisch gut durchkomponiert, so rutscht der neue Roman von Norbert Gstrein durch den Metabolismus der Leserschaft. Noch hurtiger sogar als das letzte Gustostück aus der Küche dieses literarischen Haubenkochs, Die kommenden Jahre (2018), klettert das neue Buch auf den Bestsellerlisten der diesjährigen Herbstsaison noch oben. Es sind zwei Plots zusammen gestrickt, in mehrere Zeitebenen geordnet. Aber eher noch als an Strickmustern ist das Erzählverfahren am amerikanischen Roman und an gängiger Filmdramaturgie orientiert.

Erzählstrang zwei

Amerikanisch lokalisiert ist ja auch der zweite der beiden Handlungsstränge; in ihm arbeitet der aus Tirol stammende Ich-Erzähler als Skilehrer in einem Skiresort irgendwo im US-Nordwesten. Einer seiner Schüler ist ein geheimnisvoller Professor, der sich spektakulär in einem selbstinszenierten Skiunfall das Leben nimmt. In den Bemühungen, die exzentrische Biographie dieses Mannes zu rekonstruieren (Leseprobe 2), tritt das zentrale Thema des Romans hervor: Missbrauch, Übergriff, sexuelle Grenzüberschreitung.

Erzählstrang eins

Der erste Handlungsstrang hat in der Tiroler Bergwelt seinen Schauplatz. Der jugendliche Ich-Erzähler Franz betätigt sich als Fotograf bei Hochzeiten, die sein geschäftstüchtiger Vater serienmäßig in seinem Hotelrestaurant ausrichtet, einem Familienbetrieb, in dem auch die Mutter und der Bruder mithelfen müssen. Der junge Mann erledigt seinen Job nicht ohne Sinn für das Pikante, er pflegt die Brautpaare an einen Abgrund zu führen, um sie dort zu fotografieren (Leseprobe 1), woraus sich eine Katastrophe zusammenbraut. Am Berg nimmt am nämlichen fatalen Hochzeitstag bei einem ersten Liebesversuch auch die Übergriffs- und Missbrauchsgeschichte von Franz selbst ihren Anfang, deren Auswirkungen dann durch den Roman mäandern.

Erzählkunst

Was Nobert Gstrein perfekt beherrscht und was sofort nach dem Erscheinen zu Recht den Verkaufserfolg des Buches eingeleitet hat, ist die Kunst, spannend zu erzählen. Die Wechsel zwischen den beiden Handlungssträngen nach dem Filmprinzip und die Zurichtung von Erzählkernen zu Episoden sind meisterhaft gelungen. Die erzählerische Kraft äußert sich in der Gestaltung der Dialoge, in dem geschickten Changieren zwischen der Außen- und der Innenperspektive der Figuren; wir erfahren, was Franz denkt und was er sagt, aber nie die kleinen und die großen Geheimnisse der Menschen, mit denen er spricht. Es sind vor allem auf den ersten Blick unspektakuläre Nebenfiguren, die in dieser Beleuchtung einen interessanten Glanz gewinnen: die Witwe des verstorbenen Professors, eine Wirtin und eine Streunerin im US-Skiresort, eine Nonne aus dem Tiroler Bergkloster, ein Sheriff, ein Kommissar, der Bruder und die Schwägerin von Franz. Solches darf man sich von einem so erfahrenen Romancier wie Norbert Gstrein erwarten, mit diesem Buch hat er sich jedoch selbst übertroffen. So genau die Sprache trifft, sie wird nie zum Selbstzweck, sie ist immer auf die exakte Abbildung der Welt gerichtet. Statt Sprachverspieltheit oder Sprachverliebtheit betreibt Gstrein mit dem Instrument der Sprache puren Realismus, die Sprache funktioniert bei ihm wie eine Kamera, einen immensen Reichtum an Bildern hervorbringend. An den amerikanischen Mustern geschult, produziert sie ein direktes, geradliniges Erzählen ohne einen Überhang an Reflexion. Obwohl auch Franz über die Geschichte, die er erlebt, nachdenkt, ist durch die Erzählweise das Nachdenken in ausreichendem Maß den Lesern überlassen.

Spur des Missbrauchs

Damit komme ich noch einmal auf das Thema, den sexuellen Übergriff. Dieser wird aus der Sicht von Franz als ein langsames Gewahrwerden zur Sprache gebracht, nicht zur Schau gestellt. In subtilen erzählerischen Schritten verwandelt sich das männliche Ich in einen Täter, das Mädchen in ein unschuldiges weibliches Opfer. Schon in seinem letzten Buch Die kommenden Jahre (2018) hat Gstrein einen Gegenstand der öffentlichen Debatte, das Flüchtlingsthema, in überzeugender Weise als Konflikt von Privatpersonen inszeniert; in Als ich jung war hat er sich dabei noch übertroffen, ohne erhobenen Zeigefinger zu erzählen, nicht ohne zu werten, mit Blicken aus vielen Perspektiven.
Manche der Wortführer in den Diskursen werden das vielleicht als lästige Einmischung empfinden und als Trivialisierung bezeichnen, uns Lesern bekommt es aber.

Norbert Gstrein Als ich jung war
Roman.
München: Hanser, 2019.
349 S.; geb.
ISBN 978-3-446-26371-0.

Rezension vom 13.10.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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