#Roman
#Debüt

Als ob man sich auf hoher See befände

Yara Lee

// Rezension von Veronika Hofeneder

Dass Yara Lee, die eigentlich Afamia Al-Dayaa heißt und aus ihrem Pseudonym kein Geheimnis macht, nicht nur Sprachkunst, sondern auch klassisches Klavier studiert, merkt man ihrem Debütroman Als ob man sich auf hoher See befände in jeder Zeile an. Eloquent und virtuos erzählt sie die Liebesgeschichte zwischen der Kunsthistorikerin Marla und dem Meeresbiologen James und verwebt sie stimmig mit der Geschichte von Ulysses, Marlas totgeglaubtem Vater, der am Ende seines Lebens einen passenden Ort zum Sterben sowie seine verlorene Tochter sucht.

Die im Titel angedeutete Seefahrt ist dabei in mehrerlei Hinsicht Programm: Lees Figuren verweilen nie lange an einem Ort, sie sind – auch dank ihrer Affinität zum Wasser – stets in Bewegung. Als LeserIn kommt man daher in den Genuss einer turbulenten Reise um die Welt, nebst europäischen Zielen wie Wien, Paris, Dresden oder Pula führt die Romanhandlung auch an überseeische Schauplätze nach Neuseeland und Mexiko. Ulysses wandelt dabei auf den Spuren seiner literarischen Archetypen von der Antike bis in die Moderne, wobei Lee selbstbewusst Anleihen beim homerischen Figuren- und Götterarsenal macht, das sie souverän in die heutige Romanhandlung integriert. So gerät Ulysses beispielsweise in den Bann von Kirke, die allerdings nicht als zauberkräftige Magierin in Erscheinung tritt, sondern als wunderschöne Verführerin „mit einem so dezenten Hauch von Unanständigkeit in der Stimme, dass es Ulysses die Haare auf den Unterarmen aufstellte“ (68). Die Begegnung findet in Pula just in dem Café statt, in dem eine Statue von James Joyce an dessen tatsächlichen Aufenthalt in der Stadt erinnert. Von da ist es dann auch nicht mehr weit zum Café Sirena und über allem waltet der Göttervater Zeus mit seinem „Donnerblick“ (141), der es von Zeit zu Zeit ordentlich gewittern lässt.
Dem Wasser sind alle Figuren im Roman mehr oder weniger verbunden: Marla z. B. „steht oft am Wasser, das gibt ihr das meiste Glück“ (7) und James, dessen neuseeländische Großmutter mit dreizehn Jahren als erste Delphinreiterin in die Annalen einging, hat seine Leidenschaft für das Meer und dessen Bewohner zu seinem Beruf gemacht und sich als Meeresbiologe auf Delphine spezialisiert. Er gerät kurzzeitig in die Fänge seiner Berufskollegin und mutmaßlichen Bombenattentäterin Helen Water, die nicht nur ein rotes Cabrio, sondern auch „meerblaue Augen“ (100) hat. Diese sind für Lee der Anlass für einen freien Exkurs zur blauen Farbe des Meeres: „Man sagt, das Meer sei blau, das heißt, in der Färbung dem wolkenlosen Himmel ähnlich. Man sagt, man habe blaue und blutleere Lippen im Tod. Das blutleere Meer. Allerdings gilt Blau auch als Farbe der Täuschung, Verstellung und Lüge. Oder man sagt, man spräche ins Blaue hinein, ohne Zweck und festes Ziel. Man sagt: Wer alles glaubt, sei blauäugig.“ (100)
Derartige Assoziationsketten sind häufig im Roman zu finden, wunderbar auch jene, die Ulysses‘ Vater bei einem Spaziergang auf dem Montmartre überkommt: „Mater, Marter, Mutter, die vom Leid des Sohns Gequälte, wenn er die Stufen hinauf zum Sacré Coeur.“ (29f.) oder James‘ Treffen mit einem der international renommiertesten Meeresbiologen, das buchstäblich im Sande verläuft und die Kapitelüberschrift „Strandung“ trägt.

Den charakteristischen Klangteppich ihres Romans untermalt Lee gerne auch mit onomatopoetisch wirksam gesetzten Alliterationen: „Das Wunder des Aufbruchs hatte sich in Alltäglichkeit verwandelt, und die eiligen Schritte der Passanten, die an ihm vorbeischlürften, -trippelten, -schritten, die Routine, die Repetition der Trostlosigkeit in rasanter Schnelle, das Transportieren von Gesten, Gesprächen, Grimassen, auch Gelächter bisweilen und Gleichgültigkeit“ (31).
Neben dieser bewundernswerten Sprachakrobatik und originellen Wortspielen besticht der Roman auch durch seine unglaubliche Lust am Fabulieren und zeichnet sich durch Metaphernreichtum und profund recherchierte Fakten aus: Lee kennt sich nicht nur in der Literaturgeschichte aus, sondern ist auch bibelfest und kann mit Detailwissen aus der Delphinforschung aufwarten. Der stringenten Komposition des Romans zur Folge ziert dann auch ein blauer Delphin das schlichte Buchcover und macht diesen inhaltlich und formal so sorgfältig gearbeiteten Roman rundum zu einem ästhetischen Genuss.

Yara Lee Als ob man sich auf hoher See befände
Roman.
Salzburg, Wien: Residenz, 2018.
192 S.; geb.
ISBN 9783701716876.

Rezension vom 19.03.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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