Zwei Jahre lang haben Elisabeth Büttner und Christian Dewald eine „Revision der Bilder“ (S. 8) vorgenommen und sie zu einem Streifzug durch Themen, Ideen des Films in Österreich als Teil der Geschichte neu montiert.
So entstand ein von persönlichen Sichtweisen gefärbter Band, der weder Enzyklopädie noch Chronologie sein will, sondern neue, mitunter unerwartete Zusammenhänge freigibt, die einer grundsätzlichen Überlegung folgen: „Das Kino ist der einzige Ort, der in seinen Bildern Geschichte unmittelbar und direkt zeigt, dokumentiert und aufbewahrt“ (S. 7).
Und dieses Verwobensein mit Alltag, Gesellschaft und Politik durchzieht den Band: Er ordnet das Filmschaffen anhand von sechs Themen – Geschichte(n), Kontinuitäten, Konflikte / Utopien, Körper, Orte / Gesichter, Bewegung / Zeit -, die in dieser Anordnung Gemeinsamkeiten, Widersprüche, Gegentendenzen sichtbar werden lassen.
In diesem Sinn verlieren Gattungsgrenzen zwischen Spiel-, Dokumentar- oder Avantgardefilm ihre trennende Relevanz, erhält die Ästhetik des Kommerz- oder des Heimatfilms durch ihr gesellschaftspolitisches Umfeld die ihr zustehende Bedeutung.
Gefragt wird, um ein Beispiel aus dem Kapitel „Geschichte(n)“ zu wählen, wie Österreich mit seiner Vergangenheit (nicht) umgeht, wie und warum sich das österreichische Kino lange im Behaglichen der Geschichten und des traditionellen filmischen Erzählens einrichtete, genauso wie nach Versuchen einer neuen Poetologie und eines anderen Umgangs mit Geschichte.
Die thematischen Leitfäden bringen die unterschiedlichsten Filme zusammen, stellen Antel- oder Marischka-Produktionen neben Filme von Aktionen Otto Muehls, von Valie Export, Mara Mattuschka oder die Verfilmung von Elfriede Jelineks Roman Die Ausgesperrten und erhellen in diesem Nebeneinander deren gesellschaftlich-kulturelles Wollen und Eingebundensein.
Jedem Kapitel ist ein Gespräch angegliedert, das die gesellschaftliche und künstlerische Breite des Themas aus sehr persönlicher Sicht widerspiegelt: Man begegnet dem Maler und Filmemacher Marc Adrian, der über das geistige Klima im Österreich der Nachkriegszeit erzählt, dem Schriftsteller und Drehbuchautor Gustav Ernst, der seine Position zum neuen österreichischen Film der siebziger Jahre als Reaktion auf den Avantgardefilm dargelegt, oder der Schriftstellerin Ilse Aichinger, die berührend und eindringlich die Bedeutung der Zeit und der Bilder, der Möglichkeit, im Kino zu verschwinden, beschreibt. Daneben fehlen aber auch historische und filmwissenschaftliche Darstellungen nicht.
Materialkästen bringen Textauszüge, die sich literarisch auf die gesellschaftliche Realität des jeweiligen (Film-)Themas beziehen (Erich Kästner, Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Gerhard Fritsch u. a.), Biografien und Erinnerungen von Filmschaffenden, Drehbuchauszüge, Chronologien von Filmskandalen u. ä.
Auch wenn die Sinnhaftigkeit oder überhaupt Möglichkeit einer nationalen Filmgeschichte immer wieder angzweifelt werden kann und wird, so bietet dieses Lesebuch doch einen stimmigen Querschnitt durch die kulturelle und gesellschaftliche Wirklichkeit in Österreich.
Da die sechs Kapitel, die Materialkästen und die Filmografie aller österreichischen Kinolangspielfilme, die seit April 1945 uraufgeführt wurden, autonom funktionieren, lädt der Band zum Blättern und Schmökern ein, eröffnet interessante Zusammenhänge und Verbindungen, eine Zeitreise, die einen dafür entschädigt, daß man selbstverständlich einige Filme – und deren kulturelle Bedeutung – vermissen wird.