#Prosa

Apanies Perlen

Judith W. Taschler

// Rezension von Emily Walton

Oskar ist auf der Suche nach seinen Vorfahren. Er weiß, dass seine Mutter, eine Alleinerzieherin, sich umgebracht hat und dass sich sein Erzeuger noch vor seiner Geburt für eine andere Frau entschieden hat. (Und sich in der Folge wieder von dieser getrennt hat.) Aber wie sieht der weitere Stammbaum aus? Wer war der Amerikaner, der die Großmutter väterlicherseits im Krieg schwängerte? Die Suche nach dem Ahnen führt Oskar nach Amerika: Er besucht dort ein College und geht eine Affäre mit seiner Gastmutter ein, die wenig mit Österreich (und dessen NS-Vergangenheit) am Hut hat. „Who the fuck is Waldheim?“, brüllt sie immer wieder, wenn Oskar das Thema anspricht. Als der 19-Jährige schlussendlich seinen Großvater findet, nimmt die Erzählung eine unerwartete Wendung.

Es ist nicht überraschend, dass die Lektoren diese Geschichte an den Anfang des aktuellen Erzählbands von Judith Taschler (Sommer wie Winter, Die Deutschlehrerin) gesetzt haben. Sie ist ein „Pageturner“, flott erzählt, wenngleich die Autorin stellenweise zu viel erklärt, anstatt mit ihrer Sprache Bilder zu erzeugen. (So wird etwa die Tatsache, dass die Hauptfigur nach Oskar Matzerath aus der Blechtrommel benannt wurde, lange analysiert – ohne den Leser selbst denken zu lassen. Und: Die Geschichte hätte durchaus auch mit einem anderen Namen funktioniert.)

Neben Oskar oder Who the fuck is Waldheim sind drei weitere Erzählungen im Band enthalten: Bis der Tod uns scheidet ist die Geschichte eines Autohändlers, der sich in eine Katholikin verliebt und daran zerbricht. (Es hilft ihm nichts, dass er den Ablauf der Messe auswendig lernt!) In Apanies Perlen, der titelgebenden Geschichte des Bands, erzählt Taschler von einer magischen Kette, deren Perlen von einem Aboriginemädchen im Norden Australiens aufgetaucht werden. Die Kette wird von einer Person zur nächsten gereicht, bekommt ein Eigenleben – es  geht sogar so weit, dass einer der Besitzer zu der Kette spricht. Ein modernes Märchen quasi, in einem passenden, feinfühligen Ton geschrieben.

In der Mitte des Buchs versteckt ist die gelungenste Geschichte: Worst Case. Sie ist die kürzeste im Buch. Und vielleicht deshalb so geglückt. Hierin zeichnet die Autorin das Szenario einer Welt, in der der Euro nicht mehr existiert und sämtliche Konten der Europäer eingefroren worden sind. Ein interessantes (wenn auch weit hergeholtes) Experiment. Taschler legt hier besonders viel Wert auf die Form: Sie schafft es, die Wahrheit erst nach und nach aufzudecken – gepaart mit knapper, präziser Sprache ist ihr so eine sehr solide Short Story gelungen. 

In Summe eine lesenswerte Sammlung an Geschichten, die auch völlig getrennt voneinander gelesen werden können. Der gemeinsame Nenner der Texte liegt nicht in der Lebenswelt der Figuren, sondern in deren starke Persönlichkeiten.

Apanies Perlen.
Vier Erzählungen.
Wien: Picus Verlag, 2014
184 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag.
ISBN: 978-3-7117-2010-8.

Homepage der Autorin

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autorin

Rezension vom 01.03.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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