In den Romanen von Gudrun Embacher spiegelt sich menschliches Verhalten in historischem Geschehen. Sei es der Zweite Weltkrieg, das geteilte Berlin, die terroristischen Umtriebe der siebziger und achtziger Jahre unseres Jahrhunderts oder – in ihrem neuen Buch – die politischen Auseinandersetzungen um die Mittelmeerinsel Zypern. Die Verschränkung von individuellem Verhalten und historischem Geschehen war nicht nur die zentrale Frage jener Zeit, als Gudrun Embacher ihren ersten Roman vorgelegt hat, sondern beschäftigt die Autorin durch alle ihre Werke hindurch. Könnte man hinter dem Schreibanlaß für „Sperling in meiner Hand“, in dem der „Deutsche Herbst“ zu spüren ist, noch tagespolitisches Engagement sehen, so hat sich im Laufe der Zeit der Fokus geweitet. Einmal geografisch – von Südafrika bis Zypern reichen die Handlungschauplätze ihrer Literatur, aber auch im figuralen Bezugssystem. Die antiken Figuren verweisen im Werk von Gudrun Embacher nicht auf mythologische Strukturen, die auf verschiedene historische Gegenwartsformen angewendet werden. Vielmehr arbeitet die Autorin mit den Phantasiepontentialen, die sich hinter den antiken Gestalten verbergen. Dies unterscheidet ihr Werk vom Odyssee-Projekt Michael Köhlmeiers. Diese mythologischen Figuren – und Aphrodite dabei wohl voran – sind belegt mit den Phantasien, Hoffnungen und Zweifeln der jeweiligen Gesellschaft, die sich mit ihnen beschäftigt. Das heißt nichts anderes, als daß die Aphrodite-Bilder des Mittelalters oder des 19. Jahrhundert, es sei hier exemplarisch auf den Roman „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch verwiesen, andere sind als jene des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Eines davon hat Gudrun Embacher in ihrem Roman gezeichnet.
Die Autorin erzählt in Aphrodite ging vorbei die Geschichte des Ikonenmalers Kostas Padigas, der, aus ärmlichen Verhältnissen kommend, von einer reichen Familie adoptiert wird, damit seine Talente gefördert werden können. Während im ersten Teil des Buches die Elemente eines Unterhaltungsromans sorgfältig in Stellung gebracht werden, sorgt der Auftritt von Marina (Aphrodite) für einen ersten Höhepunkt. Ihre Schönheit verzaubert Kostas. Aus den Ingredenzien dieser Sorte von Literatur braut Gudrun Embacher nun ihren literarischen Zaubertrank. Die Rezeptur beinhaltet Liebe und Tod, Haupt- und Staatsaktionen, eine gewisse Prise griechischer Folklore und ein reiches Figurenarsenal. Aber so ganz scheint die Feinabstimmung des Rezepts nicht gelungen zu sein, denn es will sich bei der Lektüre ein wirklicher Suspense-Effekt einfach nicht einstellen.
Wie es Götter so an sich haben, werden sie erstens auf Erden nicht von jedem erkannt, und zweitens verschwinden sie wieder so, wie sie auf die Welt gekommen sind. Zurück bleibt der liebende Mensch Kostas, den die Botschaft vom neuerlichen Erscheinen der Geliebten nicht nur zur Suche nach dieser motiviert. Die Irrfahrt an jene Stelle, wo die Göttin Aphrodite (Marina) gesehen wurde, dient zugleich als erzählerischer Anlaß, um die eigene Geschichte Revue passieren zu lassen. Kostas‘ Geschichte ist in „Aphrodite ging vorbei“ verwebt mit jener der Mittelmeerinsel Zypern. Sie setzt ein in den dreißiger Jahren und endet im Krieg zwischen Türken und Griechen. Auf Seiten der NATO erhob sich bei der Gewalttat der Türken zahnloses Gezeter.“Aber die Welt sah weg und gähnte“, heißt es in dem Roman. Der Roman macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe für die Zyprioten. In den politischen Wertungen, seien es jene der Geschichte Europas, seien es jene der Insel Zypern, zeigt sich das Problematische des Romans, weil sich unvermittelt politische Aussagen im Monolog des Kostas finden. Umrahmt von schmachtender Liebesgeschichtenrhetorik bildet die politische Rede des Romans den ideologischen Horizont des Textes. Es zeigt sich, in welcher Form Unterhaltungsliteratur zum Ideologielieferant werden kann. So heißt es in der zornigen Figurenrede des Kostas etwa: „Dies ereignete sich Ende Juli 1946, als der große Weltkrieg zu Ende war und die Anzettler des Krieges, soweit sie nicht auf der Siegerseite standen, im Sinne der gerechten neuen Friedensordnung hingerichtet worden waren.“
Die Liebeshandlung von „Aphrodite“ endet übrigens in einer Apotheose. Christliche Heilsversprechen mischen sich mit griechischer Mythologie. Im christlichen Himmel wartet Marina auf Kostas. Und wir warten auf den neuen Roman von Gudrun Embacher, oder?