Lebens- und werkgeschichtlich umspannt der Zeitraum der nun erschienenen Aufzeichnungen jene Dekade, in der Canetti seine dreiteilige Autobiographie schrieb. Und es lassen sich in den Aufzeichnungen und Aphorismen Reflexe dieser Arbeit finden. In der Literatur zu Canettis Autobiographie ist schon oft hervorgehoben worden, daß gerade im dritten Band, der den Titel „Das Augenspiel“ trägt, der darin dargestellte Dr. Sonne eine zentrale Rolle einnimmt. Dr. Sonne, der mit vollem Namen Abraham Sonne hieß und 1938 nach Palästina emigrierte, wo er unter dem Namen Abraham Ben Yitzchak hebräische Gedichte veröffentlichte, kommt in den Aufzeichnungen an der einen und anderen Stelle vor. „Es ist doch noch nicht so weit, daß du als Alter zu wenig Respekt fühlst. Wächst er nicht noch: für Sonne, für Musil für Robert Walser?“ (S. 101). Oder, hier schon ganz als produktionsästhetische Maxime formuliert: „Ich muß Sonne finden, wie er wirklich war, ich darf ihn nicht erfinden. Aber da er sich weise verbarg, wie soll ich ihn finden?“ (S. 75)
Es zeigt sich weiter, daß diese Aufzeichnungen es nicht nur zulassen, dem Denker Canetti über die Schulter zu blicken, sondern es auch erlauben, seinen intellektuellen Bezugsraum auszuloten. So kann man vermuten, daß er mit Gershom Scholem in Zürich zusammentraf, wenn es unter dem Jahr 1977 heißt: „Zwei Worte sind für Scholem intakt: ‚Jude‘ und ‚groß‘. Alle Juden und alle Großen waren früher. Er kennt sie. Er allein hält sie am Leben.“ (S. 32)
So wie die anderen Aufzeichnungsbände gibt auch diese Auswahl Auskunft über die literarischen Vorlieben und Bezugspunkte von Elias Canetti. Darüber hinaus finden sich auch in diesem Band viele Reflexionen, die dazu beitragen, seine intellektuelle Physiognomie zu bestimmen.
Daß der Band aber, fünf Jahre nach Canettis Tod, ohne Nachwort und ohne Kommentierung auf den Markt gebracht wird, zeigt an, daß man mit Canetti immer noch Geld verdienen will, ohne sich – aus welchen Gründen auch immer – um eine angemessene Edition auch des einzelnen Werks zu kümmern.