#Roman

Ausgebremst

Wolf Haas

// Rezension von Petra Nachbaur

„!k.o.!!k.o.!!!“ So einleitend hat in den zwanziger Jahren Ödön von Horváth diverse Sport(un)arten in seinen satirischen Kurztexten „Sportmärchen“ verewigt. Andere Autoren haben in den folgenden Jahrzehnten bekanntlich den Fußball, aber auch so entlegene Disziplinen wie Wasserball in die Literatur eingeführt. In den neunziger Jahren schließlich haben starke Herausforderinnen wie Margret Kreidl und Elfriede Jelinek mit ihren Theatertexten „Auf die Plätze“ und „Ein Sportstück“ das Phänomen der Körper in Ertüchtigung als Gesamtkomplex zur Sprache gebracht. Nun kommt eine weitere konkrete Sportart in der österreichischen Literatur zu Ehren, und zwar zu kriminalistischen.

Ausgerechnet die Formel 1, Krisenherd ungezählter Sonntagnachmittage und Inbegriff der Faszination von Geschwindigkeit und Monotonie, ist Thema und Handlungsrahmen des neuen Kriminalromans von Wolf Haas, den er in halsbrecherischer Geschwindigkeit nach seinem erst kürzlich erschienenen dritten Teil der vielbeachteten „Alpenthriller-Trilogie“ (Auferstehung der Toten, Der Knochenmann, Komm, süßer Tod) vorlegt. „Ausgebremst“ hat er sich damit vorerst nicht, vielleicht jedoch gerade durch die rasante Beschleunigung in gewisser Weise „abgebremst“.

Ein Mann, der in der Strafanstalt Stein für den Mord an einem Taxifahrer einsitzt, erzählt die Geschichte seines Lebens und seiner Obsessionen. Die erste Obsession ist der Rennsport, dem er sein Leben verschrieben hat. Die zweite Obsession ist eine gigantische Verschwörungstheorie, die die Toten des Rennsports – Fahrer und Souvenirhändler – mit bösen Machenschaften in Verbindung sehen will, Machenschaften, die auch das Leben des Erzählers bedroht haben sollen.

Bis ins letzte statistische Detail tischt der Icherzähler die vielleicht für Formel 1-Freaks nachvollziehbaren Vorgänge im Grand Prix-Zirkus auf. Gelegentlich unterbrechen Briefe an seine Exfreundin Theresa den Monolog, der Sprecher changiert zwischen unschuldig inhaftiertem Wissenden und paranoidem Gescheiterten. Weitschweifige Darlegungen der Verstrickungen um Startplätze, Drogen und wahnwitzige Theorien, nach denen Niki Lauda in Wirklichkeit nicht Niki Lauda sei, sondern von Willi Dungl gedoubelt werde, münden in ein Finale, in dem die Handlung nochmals gestrafft wird wie die Gesichter in der Klinik des Studienfreundes und Rivalen, in dessen Obhut sich der Erzähler schlußendlich begibt, um eine neue Identität zu erhalten.

Stilistisch ist der Roman zunächst einmal eine Enttäuschung für all jene, die Wolf Haas und den „Brenner“ seit der „Auferstehung der Toten“ lesen und lieben. In kurzem Boxenstop scheint der Autor die sprachlichen Reifen gewechselt zu haben. Die einzige Auflockerung seines neo-standardisierten Schreibens besteht in zitiertem Motto („Wie in einem lächerlichen Drehbuch lief unveränderlich alles schief“, Gerhard Berger) und pro Kapitel einem Vorspann, der jeden Abschnitt auf dermaßen absurde Weise einleitet, als deutete er selbstbewußt und selbstironisch die nicht nur lautliche Verwandtschaft von „Crash“ und „Trash“ an. Vielleicht war Haas es leid, für alle Zeiten die „Brenner“-Leser zu bedienen und hat sich rechtzeitig von Figur und Stil verabschiedet, bevor die Trilogie zur Serie ausufern konnte.

In gewisser Hinsicht ist der neue Haas ja auch eine Weiterentwicklung: Während seine drei Vorgänger das klassische Schema von Verbrechen und Aufdeckung erfüllten, bewegt sich die Hauptfigur des neuen Romans im Spannungsfeld zwischen Täter, Opfer und Investigator. Die einzigen ‚haltbaren‘ Verbrechen sind das eine, wofür der Erzähler seine Strafe verbüßt, und der Mord eines anderen Gefängnisinsassen an der jungen Beschäftigungstherapeutin. Was es mit den für Unfälle gehaltenen Todesfällen in der und um die Formel 1 tatsächlich auf sich hat, bleibt im Ungewissen.

„Ausgebremst“ enthält bizarre Ideen, die an Witz schwer zu übertreffen sind, wenn etwa der plastische Chirurg begeistert davon schwärmt, wie er beim Turner-Konzert endlich und „live“ Tinas Nähte an den Oberschenkeln überprüfen konnte. Dennoch mag es diesem neuen und vierten Text Haas‘ ähnlich ergehen wie dem Vierten im Formel 1- Rennen und sonstigen Bewerben – nicht schlecht, ziemlich gut sogar, ums Haar nicht gut genug.

„Sogar von den Gefängnisbrüdern in Stein ist jeder ein kleiner Medienprofi, und wenn früher die Bezugsquelle von unregistrierten Waffen und falschen Papieren das wichtigste Rüstzeug für einen Schwerverbrecher waren, so hat heute jeder die private Telefonnummer von Vera und den anderen TV-Tratschtanten im Kopf, um zum richtigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit zu gehen“ (S. 62), behauptet der Erzähler als Insider.

Auch Wolf Haas ist ein Profi und scheint sich des richtigen Zeitpunktes, „an die Öffentlichkeit zu gehen“, sehr bewußt. Nach seinen drei Bänden um den inzwischen aus dem zeitgenössischen Kriminalroman kaum mehr wegzudenkenden Ermittler Brenner mag es sich der Autor leisten, eine Auftragsarbeit nachzulegen, die ohne unverwechselbare Diktion auskommen muß und kann, die glatter ist, flotter, „internationaler“.

Der Roman um reale oder vermutete Verbrechen im Milieu des Fanartikelhandels ist ein Fanartikel für sich: Für Formel 1-Fans die spannende, intellektuell angehauchte Ergänzung zur jährlichen „Grand Prix Story“ von Heinz Prüller; für Wolf Haas-Fans die eher müde Ergänzung ihrer bisher starken Sammlung.

Wolf Haas Ausgebremst
Roman.
Reinbek: Rowohlt, 1998.
177 S.; brosch.
ISBN 3-499-43325-7.

Rezension vom 10.06.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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