Nach einem Aufenthalt in Paris erscheint Graz für Feyrer weniger als ‚Süden‘, denn als ‚Osten‘, und so begegnet sie der Stadt mit gebrochener Ironie. Der Name hat zunächst, im positiven Sinn, „etwas ‚Undeutsches‘ und auch fast ‚Unösterreichisches‘, etwas ‚Exotisches‘ fast“ (S. 185) für den geladenen Gast. Doch bald scheint es, als könnten weder die Stadt noch deren Einwohner mit Feyrers fordernder, aggressiver, geladener Lebensform mithalten.
Von Januar bis Dezember füllt sie das Tagebuch ihrer Anwesenheit in Graz, dem „Kaff“ (S. 55), konsequent beginnend und endend mit der Taxifahrt vom bzw. zum Bahnhof. Über den Umweg von Lesungen, Verabredungen, Projekten entsteht en passant ein „Who is who“ der österreichischen Literaturszene(n) und ihrer Zentren Graz, Wien und – für die Zeit des Bachmann-Wettbewerbes – Klagenfurt.
Ungeniert informiert Feyrer über „authentische“ Tagesabläufe inklusive Speiseplan, Bankomatabhebungen und Gängen zu Postamt oder „Gebietskrankenkasse!“ (S. 256), über ihre Streifzüge durch Bars und Kaufhäuser. Gelegentlich erinnern ihre Eintragungen an die lapidaren, nicht stilisierten Vermerke über Besuche, Besorgungen, Ausgaben, Korrespondenzen der Marie von Ebner-Eschenbach in ihren Merkbüchern, die jedoch ursprünglich rein privater Natur waren.
Diese Zurschaustellung des Privaten im Kontext mit souveränem Publizitäts-Gestus und einer Reihe von Selbstinszenierungen, in denen beide Bereiche ineinander übergehen, wie dies auch der Buchtitel „Auswendige Tage“ suggeriert, verleiht Gundi Feyrers Notaten besonderen Reiz. „Ich bin ein Plappermaul und liebe es, zu plappern und nicht jedes Wort umzudrehen. Plappern, so, als würde man fliegen, schweben und ab und an bei einem Thema landen und dann wieder weiter.“ (S. 185) behauptet Feyrer von sich. Andererseits jedoch bestechen ihre protokollarischen Notizen durch intensive Sprachreflexion, die immer wieder in poetologischen Passagen durchbricht. „Die Sprache beißt sich in den eigenen Schwanz und dieses Beißen leuchtet mir in den Mund, sodaß ich schreien muß.“ (S. 69).
Im „JULI“ (S. 160), Mitte des Jahres und des Buches, findet sich ein „Brief über Graz“, Auftragstext eines deutschen Lektors, in drei Anläufen, Fassungen, unvermittelt abbrechenden Entwürfen. Neben ihrem ganzen Unbehagen meint Feyrer, „daß ich eigentlich nicht ‚für‘ Deutsche auf Grazer schimpfen möchte.“ (S. 185). Und etwas ratlos, leise läßt die Künstlerin, der das Temperament zuweilen so emphatisch durchgeht, daß sie drei Frage- oder vier Rufzeichen hinter ihre Bemerkungen knallt, stehen: „Ja, Graz.“ (S. 184). – Man darf gespannt sein auf die nächsten Tagebücher aus Madrid.