Die Spanne zwischen der Mondlandung und Woodstock, zwei legendären „Events“, die heuer beide 30jähriges Jubiläum feiern, gibt den zeitlichen Rahmen ab für Herbert J. Wimmers tempo texte – auf den ersten Blick. Denn die ins Jahr 1969 verweisenden und u. a. durch geändertes Layout oft befremdlichen (Bio-)Wetterberichte, Schlagzeilen und Nachrichten aus den mittlerweile untergegangenen österreichischen Zeitungen Express und AZ sind durch den Haupttext, die „gedächtnisfalte[n]/zeitfuge[n]“, mit einer prinzipiell zeitlosen Gegenwart verbunden, die aber oft sehr stark an 1999 erinnert. Wir werden mitgenommen durch Raum und Zeit, per Anhalter durch die Galaxis unzähliger Mikrogeschichten, Reflexionen, Meinungen, Erinnerungen; was Fahrer(inne)n und Mitfahrer(inne)n nicht so alles durch den Kopf geht, was sie von sich geben in dieser befristeten Zufallsbekanntschaft von manchmal ganz erstaunlicher Intimität, in der nichts anderes zählt als die Bewegung um ihrer selbst willen, immer fort und immer weiter, nicht so wichtig wohin und vielleicht sogar im Kreis.
In experimentellen Sprachspielen macht Wimmer den Alltagsdiskurs zur Literatur, in einer – wie Wendelin Schmidt-Dengler feststellt – „zur Kenntlichkeit entstellenden Verfremdung“, die sensibilisiert für Paradoxien: eine Spezialität des Autors und ein Verfahren, das sich quer durch sein literarisches Schaffen zieht.
Statt sich an der zur Zeit propagierten Wiederentdeckung der Langsamkeit zu beteiligen, wird der Leser in den Strudel der Geschwindigkeit gestürzt, rast kreuz und quer über Autobahnen und durch Zeitebenen: einunddreißig mal 1969 und zurück, plus einmal am „vortag“, zum Eingewöhnen: vom 18. bzw. 19. Juli bis zum 18. August spult sich die laufende Chronik der Ereignisse auf den Windschutzscheiben ab, in einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, nur durch Erinnerung zusammengehalten, aber jeder Tag ist ein tempo text, sie sind geordnet und übersichtlich, das kalendarische Gerüst ein fixierter Ausgangspunkt für das raffinierte Spiel der Zeitebenen.
Und das Spiel geht weiter: es scheint, als würden wir tatsächlich in einer solchen Zeitfuge leben, in der Vergangenes permanent das Gegenwärtige durchkreuzt und die Wirklichkeit in der Literatur bereits vorgedruckt ist: derzeit zeigt der „reale“ Kalender (noch bis 18. August) auch die Zeitfugen und Gedächtnisfalten von auto stop; und die Texte haben vielfältige, ganz aktuelle Bezugspunkte: während wir uns etwa derzeit massenmedial vom finanziellen Potential überzeugen können, das in Wiederaufgüssen steckt, bleibt Wimmer fern von sentimentaler Flowerpower-Schwelgerei und nimmt uns mit auf eine Gedankenreise in die Zeit, da wir noch nicht wußten, daß wir uns bald an ein legendäres Riesenkonzert kollektiv erinnern werden. Und das Publikum von Woodstock hat schon beim Hören von Jimi Hendrix begonnen, sich an Jimi Hendrix zu erinnern – sobald wir uns einen Augenblick bewußt machen, ist er auch schon vergangen; und so jagen wir von Augenblick zu Augenblick, von Erinnerung zu Erinnerung, und merken oft gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht, unser Leben.