Winklers Wunderwelt
Das Klagenfurter Robert-Musil-Institut / Kärntner Literaturarchiv lancierte in den letzten Jahren Projektanträge, nach denen „Winklers Welt“ in Gestalt seiner im Archiv aufbewahrten Notizhefte für die Präsentation im Internet aufbereitet werden sollte. Sein Schreibprozess soll wissenschaftlich dokumentiert und erklärt werden. Doch Josef Winkler vermag seinen Schreibprozess sehr schön selbst zu erklären (zuletzt in Der Stadtschreiber von Kalkutta). Oder aber er erklärt sich von selbst. Seine Notizhefte müssen vor der Öffentlichkeit verschlossen bleiben. Bei Begib dich auf die Reise oder Drahtzieher der Sonnenstrahlen ist es offensichtlich und es bedarf keiner großartigen literaturwissenschaftlichen Vermittlung, woher Winkler seine Stoffe nimmt: Alles ist schon da, in Büchern anderer Autoren, in der großen Malerei, im Film, in seinen eigenen früheren Texten. Niemals erfindet Josef Winkler eine Geschichte. Er orientiert sich an der Wirklichkeit und schafft damit in radikaler Weise rein dokumentarische Literatur. Freilich stammt alles paradoxerweise aus zweiter Hand. Wie von einem Zauberstab berührt.
Manche Texte der Sammlung bezeichnet Winkler selbst als surrealistisch. Damit setzt er einen kulturgeschichtlichen Marker zur Malerei und zum Film. Doch was ist das Surreale anderes als ins Übermaß gesteigerte Realität? Die vom Zauberstab Josef Winklers berührte Wunderwelt repräsentiert die Absurdität einer von ihm kreuz und quer bereisten Welt, sogar die der Erdölgesellschaften.
Selbst das größte Elend ausgebeuteter Außenseiter ist das von anderen erlebte, erfundene, gesehene, gezeigte und beschriebene Elend. Unaufdringlich ist es immer wieder mit dem eigenen Erleben verknüpft. Immer wieder erscheint das Kärntner Weltdorf Kamering. Immer wieder der Tod. Immer wieder das Kruzifix. Der rote Faden des römisch-katholischen Glaubens verflüssigt sich in diesem Buch wieder einmal zu einem blutigen Rinnsal mit Brocken wunderschöner Blasphemie. Mit dem Zauberstab des Wiedererzählens dekonstruiert Josef Winkler das unerträgliche Geflecht des katholischen Mythos und jetzt gelingt es ihm besser denn je, weil er alles zu Hilfe nimmt, was andere gesehen und geschaffen haben, wie Jessica Hausner, die „benedeite Schlangentreterin“.
Die Schönheit
Die Schönheit kann nicht erklärt werden. Auch nicht von uns Literaturwissenschaftlern. Das ist ein alter Hut. Die Schönheit liegt in der Sprache. Im Grunde genommen ist die Prosa in diesem so genannten Prosaband ein einziges Gedicht. Einfach NICHT in Verszeilen geteilte bizarre, atemberaubende, wunderschöne Lyrik. Die Schönheit liegt in den Worten, im Rhythmus, in den Zeichen, in den Bildern und sie vervollkommnet sich in den eigenen Bildern, die beim Lesen entstehen. Geschaffen sind diese Bilder von anderen, aber im Wiedererschaffen liegt die Magie, dieses Wiedererschaffen nenne ich: Berührung mit dem Zauberstab.
Das große Wunder aber ereignet sich bei meinem Lesen. Wenn ich die Zeichen in dem schönen Buch ausbuchstabiere, verwandeln sich die Bilder, die Josef Winkler aus der Unmenge des von ihm zusammengetragenen Zeichenmaterials in seinem Kopf zu seinen Bildern zusammengefroren hat, in meinem Kopf in meine Bilder. Den Lourdes-Film von Jessica Hausner habe ich auch gesehen. Anderes habe ich nie gesehen, nie gelesen, nicht erlebt. Der Text von Josef Winkler vermittelt mir seine Lektüre, die mich zu meiner weiteren Lektüre anregt. Gehorsam folge ich meinem Lehrer und lese das, was er gelesen hat, sehe das, was er gesehen hat, ja, ich suche in meinen Erinnerungen nach dem, was er erlebt hat.
Winkler lesen! Verehrte Leser und Leserinnen, wenn Sie Winkler lesen, lesen Sie: Tania Blixen, Jenseits von Afrika, Josef Winklers Klagenfurter Rede zur Literatur 2009, Rajzel Zychlinskis Gedichte, Florjan Lipuš, Boštjans Flug, religiöse Dichtungen der Kelten, Richard Billingers Die Asche des Fegefeuers, Peter Roseggers Weltgift, Esther Dischereits Gedichte, Ivan Cankar, Jernej der Knecht und sein Recht, Ludwig Ganghofer, Hanns Henny Jahns Perrudja, Josef Winklers Festrede zur 500-Jahr-Feier von Klagenfurt 2018, James Joyce, Ein Porträt des Künstlers als junger Mann, Pavol Buncák, André Breton, Philippe Soupault, Paul Colinet, Gedichte Gellu Naums, Paul Eluards Gedicht Freiheit, Gedichte von García Lorca, Zbynek Havlíck, Biographisches über Edgar Degas, Texte von Jindrich Heisler, Peter Král, die Autobiographie von Alfred Kubin – und Sie sehen Bilder von Alois Köchl und von Erwin Wurm und den Film Lourdes von Jessica Hausner.
Winkler lesen! Versuchen Sie es! Wollen Sie mir schreiben, was Sie gelesen haben? An walter.hogfanta@aau.at.