Der gute Mann Leidegger, der neue Roman von Bernhard Strobel, blickt dieser Krisenhaftigkeit des Männlichen ins Gesicht und bereichert die Diskussion auf mutige und ganz spezielle Art und Weise. Im Zentrum steht der bereits aus dem Vorgängerroman Im Vorgarten der Palme (Droschl, 2018) bekannte Vorstadt-„Held“, der als selbständiger Fotograf arbeitende Leidegger, der künstlerische Ambitionen hegt – ein durchaus sprechender Name, der zur Figurencharakterisierung gereichen mag – und seine Frau Martina hintergeht. Seine Affäre Kamilla, eine Liebe aus Jugendtagen, hat aufgrund einer Glückwunsch-SMS, anlässlich der Geburt von Leideggers Tochter Selina, bereits einige Jahre zuvor für eheliche Krisenstimmung gesorgt. Dies ist das Setting, begleitet vom – sehr menschlichen – Figurenensemble, das dem Roman genügt, um einen Spannungsbogen aufzubauen, der die bürgerlichen Verhältnisse wenn schon nicht ins Wanken so doch erschüttert zurücklässt und die Risse in der Vorort-Idylle sichtbar macht. Strobels Literatur schließt nicht an vorherrschende Moden an, ist – nach dem von dem deutschen Literaturwissenschaftler Moritz Baßler populär gemachten Begriff – kein „Midcult“, nämlich leicht konsumierbare Literatur, sondern fordert die Leser:innen, was für erfrischende Lektüre-Momente sorgt.
Der Roman beginnt sozusagen in medias res und führt direkt in Leideggers Innerstes: seine ureigensten Weltanschauungen, Gedanken und Befürchtungen. Und seinen mäandernden Gedankenmonologen bleibt Leidegger selbst und damit die Leser:innen von Strobels Roman bis zur letzten Seite ausgeliefert. Es dauert einige Zeit und Seiten bis man sich an die Perspektive gewöhnt hat, aber dann ist man nahe dran an den kruden und komplizierten Gedankengebäuden, die durch diese Unmittelbarkeit durchaus authentisch als die eines Mannes jenseits des vierzigsten Lebensjahres und seiner „private(n) und berufliche(n) Düsternis“ (S. 155) erscheinen.
Hinsichtlich Leidegger stehen dessen eigene toxische Verhaltensweisen mit der Midlife-Crisis in Zusammenhang, an der er laboriert und von der er sich mittels der Affäre mit Kamilla abzulenken versucht. Strobel gelingt im Verlauf des Romans das Kunststück, dass er den Gedankenstrom Leideggers so lange laufen lässt, bis sich dieser selbst zu entlarven beginnt und Leidegger das auch zunehmend auffällt. An mehreren Stellen des Romans stellt sich Leidegger, der manchmal mehr, manchmal weniger sympathisch erscheint, selbst in Frage. Dabei neigt er durchaus zur Ironisierung seiner Männlichkeit und gerät in gedankliche Sackgassen, aus denen er wieder herauszufinden versucht: „Eine Affäre, eine Zigarette, ein Auto – ein Mann. Wie in der Fernsehwerbung, dachte er und wollte lächeln, erschrak aber stattdessen, als ihm einfiel, wann er diese Art der Zigarettenwerbung zuletzt gesehen hatte: vor dreißig Jahren vermutlich! Obwohl ihn alles symbolisch Männliche eigentlich anwiderte, fand er sich selbst auf einmal in der allerpeinlichsten Männerpose. Wozu denn jetzt diese geballte Männlichkeit?“ (S. 52)
Der Roman ist auch das Psychogramm eines Mannes, der einer zunehmenden Verunsicherung angesichts der Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben anheimfällt. Leidegger kann den Klischees seiner eigenen männlichen Identität nicht entkommen und ist von seiner unmittelbaren Lebenswelt sowie der eigenen Familie zunehmend entfremdet. Er dekliniert oder „zerflektiert“ (S. 111), wie er formulieren würde, zuweilen ziemlich pragmatisch die ganze Causa seines Betrugs durch: „Seit es das Konzept der Ehe gab, gab es den Ehebruch.“ (S. 83) Über manche seiner Meinungen und Vorstellungen mag man (auch als Mann) den Kopf schüttelt, es stellt sich zuweilen aber eben auch ein selbstentlarvender, durchaus komischer Effekt ein. Etwa wenn Leidegger sich selbst immer peinlicher wird oder bei seinen Reflexionen über das männliche Geschlechtsorgan.
Kritisieren könnte man am Roman allenfalls, dass die Frauenfiguren merkwürdig farblos bleiben, was natürlich auch der Erzählperspektive geschuldet ist, aber dieser Sachverhalt fällt auch dem Anti-Helden Leidegger selbst unangenehm auf: „Wie egoistisch er die letzten Monate ihr gegenüber gewesen war! Nie hatte er sich ernsthaft dafür interessiert, wie es um ihr Privatleben, ihr Hauptleben, ihr Seelenleben bestellt war.“ (S. 82)
Der lose Plot mit seiner außerehelichen Affäre und den ständigen Befürchtung Leideggers, sich aufgrund des kleinsten Fehlers zu verraten und aufzufliegen, rahmt den Roman, bleibt manchmal mehr im Vor- oder gerät in den Hintergrund. Das Ende ist überraschend offen und Leser:innen dürfen eventuell auf einen weiteren Roman aus dem Leideggerschen Vorstadtuniversum hoffen – vielleicht diesmal aus einer weiblichen Perspektive?
Stefan Maurer, Literaturwissenschaftler und Mitarbeiter am Literaturhaus Wien, wo er für Bibliothek und Archiv zuständig ist.