#Roman
#Debüt

Blasmusikpop

Vea Kaiser

// Rezension von Christine Schranz

oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam.

Vea Kaisers Debutroman spielt in der 500-Seelen-Gemeinde St. Peter am Anger in den fiktiven Sporzer Alpen. Über drei Generationen verfolgt die Jungautorin das Geschick der Familien Gerlitzen und Irrwein, die die Gebirgstraditionen durcheinanderwirbeln und – unter anderem – die Wissenschaft in die Berge bringen.

In Johannes Gerlitzens Eingeweiden lebt ein beinah fünfzehn Meter langer Bandwurm. Als die Haare seiner neugeborenen Tochter gar zu sehr an den verhassten Nachbarn Ötsch erinnern, flüchtet Gerlitzen ganz in die vertraute Welt der Eingeweideparasiten und verlässt die Alpen, um in der Hauptstadt Medizin zu studieren.
Jahre später kehrt er, mittlerweile Dr. Gerlitzen, in sein Bergdorf zurück. Das Dorf ist schockiert: Ohne Holzfällermuskeln ist Gerlitzen lang und schlank, sein Haar ist schneeweiß, die Stimme hat ihre dialektale Färbung verloren und er redet jetzt wie ein „Hochg’schissener“!

Mit Tochter Elisabeth bleibt Dr. Gerlitzens Beziehung auch nach dem Tod der Mutter kühl, hält er doch den jungen Alois Irrwein mit dem gefährlichen Glanz in den Augen, dem das Herz seiner Tochter gehört, für einen künftigen Terroristen, seit dessen Seifenkiste bei einem Mondflugversuch in sein Labor gekracht ist.
Erst die nächste Generation mit Enkel Johannes A. Irrwein versöhnt den Arzt mit seiner Familie: „Dr. Opa“ nimmt den Jungen unter seine Fittiche, lehrt ihn Hochdeutsch zu sprechen, wissenschaftliche Experimente durchzuführen und liest ihm Herodot vor – nur die für Kinder geeigneten Stellen, versteht sich.

Nach verpatzter Geschichtematura und einem kläglich scheiternden Selbstmordversuch muss sich der junge Mann erstmals mit den Dorfbewohnern auseinandersetzen, statt seinen „zivilisierten Freunden“ in die Hauptstadt zu folgen, und widmet sich der Mission, wie Herodot unter den Barbaren zu leben und Aufzeichnungen über ihre Sitten zu führen.
Wie Dorfgemeinschaften das zu tun pflegen, machen ihn die St. Petrianer jedoch nicht nur zum Schriftführer des Fußballvereins, sondern auch zu ihrem Freund, ohne ihn groß nach seiner Meinung zu fragen. Auch die Liebe in Gestalt der zugezogenen Simona mit den feuerroten Haaren lässt nicht lange auf sich warten.
Als ein norddeutscher Skandalfußballverein sein Kommen zur Einweihung der neuen Flutlichtanlage des Fußballplatzes ankündigt, wird Johannes mit der Organisation beauftragt, und bald feiern Dorfbewohner und Gäste ein rauschendes Fest. Der Junghistoriker beschließt, „noch eine Weile hier im Dorf zu bleiben, da ich entdeckt habe, hier gebraucht zu werden“, wie er seinen „zivilisierten Freunden“ in die Hauptstadt schreibt.

„Ich hab drei Dinge in meinem Leben, die mich so richtig glücklich machen“, sagt Vea Kaiser in einem Interview.“ Das sind Fußball, das sind Stöckelschuhe, und das ist Altgriechisch.“ Diese drei Dinge kommen auch in Blasmusikpop vor – Stöckelschuhe weniger, aber das liegt nur daran, dass man in St. Peter am Anger aufgrund der Geländebeschaffenheit und diverser Traditionen, denen im Stehen beigewohnt werden muss, nicht so gut in Stöckelschuhen gehen kann. Sie schreibe, so Kaiser weiter, „aus dem Glücklichsein heraus“ und wolle „Geschichten […] erzählen, die glücklich machen.“ Das gelingt ihr auch: Blasmusikpop ist leichtfüßige Popliteratur mit Leidenschaft für Medizin und Geschichte, und gleichzeitig ein Gesellschaftsbild über die Alpenrepublik und ihren kuriosen Dialekt. Ein gelungenes Debut, zu dem man der 23-jährigen Germanistin gratulieren darf. Mögen weitere Werke folgen, oder, wie ihr Charakter Peppi sagen würde: „Bahö!“

Vea Kaiser Blasmusikpop
Roman.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012.
496 S.; geb.
ISBN 978-3-462-04464-5.

Rezension vom 26.08.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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