#Sachbuch

Blicke von außen

Franz Haas, Hermann Schlösser, Klaus Zeyringer

// Rezension von Wolfgang Straub

Keine Frage: Jeder von uns sollte ab und an einen Gedankenschritt zur Seite machen und seine Situation mit einer gewissen Distanz, quasi von außen beobachten. Die Literaturwissenschaftler Franz Haas, Hermann Schlösser und Klaus Zeyringer bedienten sich nun dieses therapeutischen Blickwechsels, um eventuelle Krankheitsherde in der österreichischen Literaturlandschaft auszumachen. Das Trio wurde schnell fündig und diagnostizierte fortgeschrittenen Solipsismus.

Die drei Doktoren ließen der einleitenden Diagnose in Form eines Gesprächsprotokolls Einzelanalysen folgen, sie fassten den Literaturbetrieb in Italien und Frankreich zusammen und untersuchten die Aufnahme der österreichischen Literatur in diesen Ländern sowie in Deutschland. Auch in den jeweiligen Einzelstudien wird der Diagnose, der Kritik an den „österreichischen Verhältnissen“ viel Raum gewährt, dabei kommt nur leider manchmal die Anamnese zu kurz.

Klaus Zeyringer holt sich Unterstützung bei den Methoden des großen Mediziners Pierre Bourdieu und konstatiert eine Verengung des Feldes („Im Österreich der Jahre 2000/2001 bestimmen kaum mehr als 15 Personen die literarisch-ästhetischen Werte“), kann aber seine dichte Soziologie des engen literarischen Feldes nur anreißen. Das liegt natürlich – wie bei den Beiträgen von Schlösser und Haas – am mangelnden Raum und der Konzentration auf die Außenperspektive, bleibt aber als Manko bzw. Desiderat bestehen. Zudem verabsäumt Zeyringer es, seine eigene Position im literarischen Feld genau auszuleuchten, was wohl Voraussetzung wäre für eine fundierte soziohistorische Analyse des kleinen österreichischen Literaturbetriebsackers. Sympathisch ist sein Unterfangen, entgegen dem Usus hierzulande die Übel (bzw. die in seinen Augen üblen Gesellen) „beim Namen zu nennen“. (Franz Haas steht ihm hier zur Seite und spricht etwa von „Kolleritschs Machtgehege“.) Leider bleibt Zeyringer darin nicht immer konsequent, er habe etwa „von vielen Seiten Klagen gehört“, dass „jüngere Germanisten und Kritiker aus Wien auf einer Tagung in den USA auf eine sehr schulmeisternde Art“ über Gegenwartsliteratur geurteilt hätten.

Solche Unschärfen bleiben nicht die einzigen Eigentümlichkeiten, Zeyringer zeigt sich zum einen in der hohen Kunst der Polemik nicht immer stilsicher (der Bernhard-Forscher Martin Huber wird bei ihm zum „Ministranten“), zum anderen hat er sich (etwas abgeschwächt unterstützt von Haas) ziemlich monoton auf zwei Lieblingsfeinde eingeschossen. Der eine, Klaus Kastberger, saß (neben Thomas Eder, Bernhard Fetz und Daniela Strigl) auf jenem „inkriminierten“ Podium in Philadelphia, die andere, Elfriede Jelinek, bietet seit „Die Kinder der Toten“ ohnehin breite Angriffsflächen. Zweifellos ist der Kritiker Kastberger ein Verfechter jener Literatur, die die drei Autoren etwas unreflektiert als „Avantgarde“ bezeichnen, aber etwa sein Engagement für die Literatur einer Marianne Fritz als „elitistisches Objekt“ einer „ästhetischen Privat-Begierde“ zu diffamieren, scheint mir unfair zu sein (einmal davon abgesehen, dass sich auch der Suhrkamp Verlag oder die „Institution“ Wendelin Schmidt-Dengler für Marianne Fritz einsetzen). Von einem Verfechter eines möglichst offenen Kanons wäre mehr Gelassenheit gegenüber solchen Spezialliteraturen wünschenswert gewesen.

Persönliche Vorlieben sollten natürlich spätestens dann so weit wie möglich außen vor bleiben, wenn es um die Verteilung öffentlicher Gelder über Förderungen und Preise geht – hier greift die Solipsismus-Kritik am ehesten, weniger Polemik, mehr kühlere, ausführlichere Analyse wäre allerdings wünschenswert gewesen. Die Autoren sind sich naturgemäß der Schwierigkeiten ihres Unterfangens bewusst, so streifen sie denn auch immer wieder die notwendigerweise schwammige Diskussion über Qualitätskriterien und -urteile („Die ästhetischen Erklärungen kommen vielleicht tatsächlich etwas zu kurz, sie sind aber auch ungemein schwierig“). Hermann Schlösser, der Konzilianteste des Trios, stellt aber auch fest, dass „wir eigentlich sehr weit kommen, ohne die Frage nach der ästhetischen Qualität zu stellen, weil wir eben Rezeptionen untersuchen“ (auch wenn im Vorwort steht, es gehe „nicht in erster Linie um eine Rezeptionsgeschichte“). Diese Untersuchungen der Aufnahme österreichischer Literatur in Deutschland, Italien und Frankreich stellen – gemeinsam mit den Funktionsanalysen der jeweiligen Literaturbetriebe – denn auch die interessantesten Teile der „Blicke von außen“ dar. So erfährt man etwa, dass der meistgelesene österreichische Gegenwartsautor in Italien seit Jahren Robert Schneider ist, Franz Haas erklärt das auch mit der Übersetzung, in der „manche peinlichen Stellen abgeschliffen wurden“. Von solchen Ausnahmen abgesehen ist die Bilanz in den beiden romanischen Ländern ernüchternd, die Literatur Österreichs kommt außerhalb der germanistischen Institute praktisch nicht vor. Das liege weniger an der Kleinheit des Landes, schweizerdeutsche Literatur werde sehr wohl übersetzt, als vielmehr, so Haas‘ Quintessenz, an der „Unverständlichkeit“ des Österreichischen außerhalb seiner Grenzen.

Die erhellenden Blicke auf das Außen, so auch Hermann Schlössers Abhandlung über das schwierige Verhältnis Österreich/Deutschland, funktionieren in diesem Buch besser als die sich im Innerösterreichischen verbeißenden Blicke von außen. Für tiefergehende Blicke wende man sich am besten gleich an jenes Buch, das im Vorwort als Auslöser für das Unternehmen zu dritt genannt wird: Klaus Zeyringers 2001 wiederaufgelegte „Österreichische Literatur seit 1945“.

Franz Haas, Hermann Schlösser, Klaus Zeyringer Blicke von außen
Österreichische Literatur im internationalen Kontext.
Innsbruck: Haymon, 2003.
208 S.; brosch.
ISBN 3-85218-423-1.

Rezension vom 20.08.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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