#Sachbuch

Bonjour Autriche

Sandra Unterweger, Roger Vorderegger, Verena Zankl (Hg.)

// Rezension von Günter Vallaster

Die Impulse der französischen Besatzungszeit für das kulturelle Leben der Nachkriegsjahre in Westösterreich waren enorm und nachhaltig und sind bis heute durch das 1946 gegründete Institut français d´Innsbruck lebendig.

Vor dem Hintergrund der nach Kriegsende sofort auch wieder einsetzenden Restauration kann im wahrsten Sinne des Wortes von einem Aufbruch aus dem Trümmerhaufen gesprochen werden, einem „Aufreißen der Fenster zur Welt“, wie Renate Lichtfuss in ihrem Beitrag „Erinnerung“ schreibt, wodurch ein frischer Wind die nötige Portion Moderne und Prise Existentialismus in die „kulturelle Steppenlandschaft“ (Johann Holzner in seinem Vorwort) Tirol und Vorarlberg brachte. Nicht Militärparaden, sondern französische Kultur wurde der Bevölkerung geboten, insbesondere durch Ausstellungen, Theateraufführungen, Konzerte, Förderung der französischen Sprache und Literatur an höheren Schulen, Unterstützung des Instituts für Romanistik der Universität Innsbruck sowie Paris-Stipendien für junge Kunstschaffende wie Max Weiler, Kurt Moldovan und Claus Pack aus dem bildnerischen Bereich oder den Komponisten und späteren Filmemacher Bert Breit.

Wie groß die Bedeutung dieser französischen Kulturarbeit war und wie sie sich überhaupt gestaltete, erhob akribisch und detailreich das Forschungsprojekt „Der Einfluss der französischen Kulturpolitik 1945–1955 auf das literarische und kulturelle Leben in Vorarlberg und Tirol“, ein Kooperationsprojekt des Forschungsinstituts Brenner-Archiv in Innsbruck und des Franz-Michael-Felder-Archivs in Bregenz sowie des Frankreich-Schwerpunkts der Universität Innsbruck unter der Leitung von Johann Holzner und unter Mitarbeit von Sandra Unterweger, Roger Vorderegger, Verena Zankl und Raffaela Rudigier. Das Projektergebnis präsentiert sich 432 Seiten stark, mit 15 Beiträgen, die alle Facetten des kulturellen Lebens während der Besatzungszeit beleuchten. Dabei zeigt sich, dass es vor allem einzelne Persönlichkeiten waren, die ausgehend vom Institut français sehr schnell und auch über die Besatzungszeit hinaus die kulturelle Landschaft Tirols und Vorarlbergs als Integrationsfiguren mitprägten. So organisierte, wie aus dem Beitrag „MAGNUM, Picasso und Le Corbusier“ von Verena Zankl hervorgeht, der Kunsthistoriker Maurice Besset, der erste Direktor des Institut français, gemeinsam mit der engagierten Autorin, Kunsthistorikerin, Übersetzerin und späteren Leiterin der Kunsthistorischen Sammlung des Schlosses Ambras Lilly Sauter, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut français tätig war, die weltweit erste Gruppenausstellung der 1947 in Paris gegründeten unabhängigen Fotoagentur Magnum Photos und zahlreiche weitere Ausstellungen u. a. mit Werken von Georges Braque, Marc Chagall, Le Corbusier und Pablo Picasso.

Bestimmt durch die Aufgabenbereiche reichte der Wirkungskreis des Institut français, der sich schwerpunktmäßig auf Innsbruck und Umgebung konzentrierte, nicht bis nach Vorarlberg. Dies zeigt der Beitrag „Initiativen, Politik, Identität et les Français“ von Roger Vorderegger, in dem es heißt: „Um ein Heranführen an die Moderne, wie es Besset etwa in Innsbruck versuchte (…), ging es in Vorarlberg sicherlich nicht. Eher, soweit das die Mittel eben erlaubten, um eine Unterstützung bei der Wiederbelebung des Kulturlebens nach dem Krieg generell und im Rahmen derselben um das Setzen von ein paar französischen Akzenten unter Rücksichtnahme auf die herrschende konservative Grundeinstellung sowie die kleinstädtisch-ländlichen Gegebenheiten“ (177 f). Auch hier waren es einzelne Künstlerinnen und Künstler, wie der damals in Vorarlberg lebende Maler Claus Pack (Beitrag „Claus Pack und die kulturelle Szene in Vorarlberg“ von Raffaela Rudigier) oder der Autor, Kulturvermittler und langjährige Leiter der Kulturabteilung in Bregenz Oscar Sandner, die ihrerseits den Kontakt zum Institut français suchten, Claus Pack etwa im Rahmen der vom Institut français in die Wege geleiteten „Rencontres Universitaires Internationales“, der Internationalen Hochschulwochen in St. Christoph am Arlberg (Beitrag „Romanorama statt Pyjama“ von Verena Zankl), die von den 1945 erstmals von Otto Molden und Simon Moser in Alpbach veranstalteten „Internationalen Hochschulwochen“ – ab 1949 „Europäisches Forum Alpbach“ ­– angeregt waren und unter dem Vorzeichen einer kulturellen „Wieder- bzw. Umerziehung“ (75) der Jugend den akademischen Nachwuchs mit internationalen Vertretern aus Wissenschaft und Kunst zusammenbrachten. Nach diesem Vorbild wurden von General Marie-Emile Béthouart und seinem Stab ähnliche Jugendlager in ganz Tirol durchgeführt.

Ausführlich – und dabei viele interessante Aspekte in Erinnerung rufend oder ans Licht bringend – wird auch die Vermittlung französischer Kultur untersucht, so in Sandra Unterwegers Beitrag „L´Être ou le Néant – Zur Rezeption des französischen Existentialismus in Tirol und Vorarlberg am Beispiel von Jean-Paul Sartre“ und in Verena Zankls Beitrag „Im Mittelpunkt eines magischen Kreises – Die Kunst- und Literaturvermittlerin Lilly Sauter (1913–1972) und ihre Rolle im französisch-österreichischen Kulturtransfer nach 1945“. Die Fäden laufen wiederum bei Lilly Sauter zusammen, die zeit ihres Lebens als Übersetzerin des Who is Who der französischen Literatur wirkte, von Honoré de Balzac bis Paul Valéry, auch eine Sartre-Biographie von Francis Jeanson für die vom Rowohlt-Verlag in den 50er-Jahren initiierte Reihe „Rowohlts Monographien“ befand sich darunter, die aber aus unbekannten Gründen nicht veröffentlicht wurde. Im Beitrag „Rendezvous mit Frankreich ­– Französische Literatur in Tirol und Vorarlberg“, ebenfalls von Sandra Unterweger, wird darauf hingewiesen, dass die auch heute noch gängige deutsche Übersetzung von Antoine de Saint-Exupérys weltbekanntem Werk „Le Petit Prince“ in Innsbruck entstand, durch Grete und Josef Leitgeb, womit sich Innsbruck als ein Dreh- und Angelpunkt französisch-deutschsprachigen Kulturtransfers präsentiert. Auch die 1946 von Lilly Sauter und Georges Marc Bourgeois gleichsam als Antithese zur nazistischen Doktrin ins Leben gerufene Zeitschrift „Wort und Tat“, die junge österreichische und französische Literatur und bildende Kunst synoptisch versammelte, wird im Beitrag „Intellektuelle Publizistik als friedenspolitische Aufgabe ­– Die Zeitschrift Wort und Tat im Kontext des geistig-kulturellen Klimas der Nachkriegszeit“ von Roger Vorderegger ausgiebig gewürdigt. Zahlreiche Selbstzeugnisse (u.a. Lilly Sauters „Pariser Impressionen“), literarische Texte (u.a. von Oscar Sandner, Walter Schlorhaufer und Otto Gründmandl), Erinnerungen (u.a. von Renate Lichtfuss und Jutta Höpfel), Tagebucheinträge (von Gertrud Ettenberger), Zeitungsartikel, Interviews (u.a. mit Oscar Sandner) und Informationen zu den historischen Rahmenbedingungen runden den Band zu einem lebendigen Gesamtbild ab.

Mit Bonjour Autriche liegt ein enzyklopädisches Grundlagen- und Standardwerk zum kulturellen Leben, ja zur kulturellen Belebung durch die französische Besatzungszeit in Tirol und Vorarlberg vor, das durch die vielfältigen Beiträge und zahlreichen Zeitzeugnisse, Abbildungen und Quellenangaben eine reichhaltige Wissensschatztruhe darstellt.

Sandra Unterweger, Roger Vorderegger, Verena Zankl (Hg.) Bonjour Autriche
Literatur und Kunst in Tirol und Vorarlberg 1945-1955.
Innsbruck: Studienverlag, 2011 (Edition Brenner-Forum Bd 5).
432 S.; brosch.
ISBN 978-3-7065-4798-7.

Rezension vom 11.01.2012

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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