Wir folgen dem Blick einer namenlosen, sitzenden Frau von Foto zu Foto, bis ihr darin ein Mann gegenübersteht. Sie scheint den Augenblick des Aufeinandertreffens hinauszögern zu wollen, quälend ist die Langsamkeit ihres Blicks. Man hält den Atem an. Dahimène lässt offen, ob der Mann zurückkommt, alte Wunden aufreißend, oder ob er geht, neue zufügend. Wir erfahren nichts über die Frau und noch weniger über den Mann. Der Autorin geht es nicht um epische Breite sondern vielmehr um in Worte destillierte Stimmungen, um eingefangene Augenblicke, Gefühl in Sprache gebannt.
Mit Buttermesser durch Herz legt Adelheid Dahimène, die sich auch als Kinder- und Jugendbuchautorin einen guten Namen gemacht hat, nach „Meine Seele ist eine schneeweiße Windbäckerei“ und „Gar schöne Spiele“ ihr drittes Buch für Erwachsene vor.
„Fügungen“ heißt es stimmig im Untertitel, denn das Wechselspiel von Begegnungen, das eine schier unendliche Zahl von Aufeinandertreffen ermöglicht, interessiert die Autorin brennend. Die Themen sind nicht neu: Liebe, Hass, Nähe, Distanz, Sehnsucht, Einsamkeit. Doch Adelheid Dahimène beherrscht die Kunst, sie in ein neues Sprachkleid zu hüllen. Der Stil ist eigenwillig, spröde und ganz und gar individuell. Ihre Variationen allein von „Ich schaue“ lassen den Leser sprachlos werden. Einmal heißt es: „Schon konnte sie die kleinen Blicke zu sich nehmen löffelweise“, an anderer Stelle: „In den Augen ist ihr drei Lidschlägelang rot zumute“, oder: „Die Facetten der Augen trugen mehrfach gebrochen die Sonne zur Schau, was sie blendete da keine Erinnerung mehr Schatten spendete um die erweiterte Nacktheit ihrer Pupillen zu verhüllen.“
Vieles bleibt bewusst im Rätselhaften, Vagen. Antworten interessieren Dahimène nicht, Variationen dagegen sehr. Es ist eben alles eine Frage des Blickwinkels. „Sichtweise I“ und „Sichtweise II“ heißen zwei der in Skizzenpaaren angeordneten Texte, ein anderes Paar: „Im Bilde I“ und „Im Bilde II“.
Buttermesser duch Herz besticht durch die Kraft der heraufbeschworenen Bilder. Sie strömen im Überfluss aus den Seiten. Aber das Buch ist alles andere als leichte Lektüre und gestattet dem Leser nicht, über sie hinwegzufliegen. Es braucht Geduld und Zeit, wie sie auch die Autorin selbst aufbringen musste. „Ich sitze da, brüte halt so herum und habe irgendwann eine Idee“, hat sie in einem Interview gesagt und dass sie das Experiment als Herausforderung liebe – es dürfe dann auch ein wenig verrückt sein. Mit Buttermesser durch Herz stellt sie sich dieser Herausforderung und geht an die Grenzen ihres sprachlichen Könnens. Sie wagt sich weit hinaus, umschifft geschickt Unwegsamkeiten und zieht eine poetische Spur aus bruchstückhaften Eindrücken. Mit eigenen Worten gesprochen: „Und zwischen den tausend auseinanderstiebenden Teilen des Meermannes taumeln Worte in Scherben auf den Bodensatz des Wassers.“