#Roman

Content

Elias Hirschl

// Rezension von Harald Gschwandtner

Elias Hirschl hat ein untrügliches Gespür für die finsteren Ecken unserer Zeit. In seinem letzten Roman Salonfähig hatte er die Welt der Slim-Fit-Politik und ihre sprachlich-menschlichen Abgründe ins Visier genommen. Der Roman Content, eben im Zsolnay Verlag erschienen, schließt literarisch an das Erzählverfahren des Vorgängers an und gräbt sich durch die Social-Media-Welten eines alten Kohlereviers.

Gemeinsam mit Hirschls Protagonistin betritt man am Beginn von Content einen nachgerade dystopischen Ort. Früher war hier eine Kohlenzeche, doch seit die Förderschächte stillgelegt sind, hat sich ein neuer Wirtschaftszweig breitgemacht: Über der verwüsteten Landschaft erhebt sich nun ein Bürokomplex, in dem die Mitarbeiter:innen Listen, Videos und Memes für einen zwielichtige Social-Media-Konzern basteln. Der Name des Unternehmens, SmileSmile, ist blanker Hohn: Beinahe alle hier stehen – wer könnte es ihnen verdenken – vor der emotionalen Zerrüttung und flüchten in Betäubung und Ablenkung.

„Ich schreibe meine Listen-Artikel, bekomme mein Gehalt von einer obskuren osteuropäischen Bank überwiesen und stelle keine Fragen. Ich lebe mich ein. Ich finde mich ab.“ (S. 17) Um zu seinem Schreibtisch im Großraumbüro zu gelangen, muss man bei SmileSmile einen ausrangierten Förderkorb aus der Ära der Zechen besteigen – und hoffen, dass das immer wieder gut geht. Die Welt des Bergbaus hat längst keine Zukunft mehr, der Alltag in der Meme-Fabrik jedoch kann es mit der Tristesse der Abraumhalden durchaus aufnehmen.

Elias Hirschl, der 2022 Stadtschreiber in Dortmund war und die Kraterlandschaften des Ruhrgebiets eingehend studieren konnte, entwirft in Content eine Welt der digitalen Monotonie, in der „Kreativität“ und „Eigensinn“ nur noch Bausteine einer seelenlosen Marketingsprache sind. Viele im Büro von SmileSmile, die ihre Begeisterung für Digitales zum Beruf machen und in der Kreativbranche arbeiten wollten, haben längst resigniert, haben sich damit abgefunden, dass all die „Listicles“ und Memes, die sie für ihre dubiose Firma erstellen, nie das Licht der Öffentlichkeit erreichen. Sie sind nur froh, nicht in einer russischen Troll-Fabrik gelandet zu sein.

Zugleich hängt das Damoklesschwert KI über der Belegschaft: Denn was hier tagein, tagaus fabriziert wird, das könnte längst eine Künstliche Intelligenz effizierter erledigen – und würde dafür weder Gehalt noch Raum noch Sozialabgaben kosten, keine Gewerkschaft gründen oder sich ins Burn-out verabschieden. „Dass es eine Absurdität ist, dass hier überhaupt noch Menschen arbeiten. Dass es eine ungeheure Verschwendung von Ressourcen ist, eine Verschwendung von Zeit und Energie. Warum wurden wir nicht schon längst ersetzt?“ (S. 162) Die Erzählerin weiß das für sich zu nutzen und überträgt ihre Arbeit schließlich einer KI. Mit der Freizeit, die sich damit plötzlich auftut, ist in dieser Welt freilich nicht mehr viel Schönes anzufangen.

„Ich habe seit Monaten keine Bücher mehr gelesen“, hält die Erzählerin an einer Stelle fest. „Mit Monaten meine ich die letzten zwei bis drei Jahre. Und mit Büchern meine ich alles, was mehr als 280 Zeichen hat.“ (S. 62) Unfähig, sich über längere Zeit auf etwas jenseits eines Bildschirms zu konzentrieren, sind ihre Versuche, ausgerechnet den Mann ohne Eigenschaften zu lesen, wenig überraschend zum Scheitern verurteilt: „Ich nehme erneut den Mann ohne Eigenschaften in die Hand, beginne den dritten Satz zu lesen, sehe, wie lang er ist, und habe schon keine Energie mehr. Ich lege das Buch wieder weg.“ (S. 186)

Elias Hirschls Roman spielt in einer grotesk verzerrten und zugleich bedrohlich nahen Zukunft. Es ist eine kalte Welt, in der die Menschen auf die Displays ihrer Mobiltelefone und Laptops starren, gebannt von einer Fülle digitaler Massenware, die der Abstumpfung der Sinne und Emotionen zuarbeitet. Content erzählt von radikal entfremdeter Arbeit und von Menschen, die darum kämpfen, einen Rest von Würde zu bewahren und sich zumindest manchmal als sinnvollen Teil eines gesellschaftlichen Ganzen zu erleben.

Der Roman ist eine grelle, manchmal allzu grelle Satire auf unsere digitale Gegenwart, deren analytische Schärfe sich in der Wiederholung und Steigerung der Pointen abnützt. Der Welt, von der Hirschl erzählt, buchlang ausgesetzt zu sein, ist anstrengend, mühsam, ja zermürbend. Zugleich entspricht dies der enervierenden Monotonie der erzählten Welt – und ist insofern literarisch konsequent und sinnfällig.

Was dem Autor jedenfalls hoch anzurechnen ist: Elias Hirschl hat sich im Lauf der letzten Jahre – ähnlich etwa wie Barbi Marković – innerhalb der österreichischen Literatur eine ganz eigenständige Position mit hohem Wiedererkennungswert erarbeitet. Dass in Content nicht alles gleichermaßen gelingt und der Text manche erzählerische Unwucht aushalten muss, macht der Roman mit Eigensinn und bösem Witz wett. Content sollte man gelesen haben, um darüber streiten zu können.

 

Harald Gschwandtner, geb. 1986, Literaturwissenschaftler, Kritiker und Lektor, Mitarbeiter des Jung und Jung Verlags, lebt in Salzburg. Veröffentlichungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, u. a. Strategen im Literaturkampf. Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik (Böhlau, 2021).

Elias Hirschl Content
Roman.
Wien: Zsolnay Verlag, 2024.
224 Seiten, Hardcover.
ISBN 978-3-552-07386-9.

Homepage von Elias Hirschl

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor sowie einer Leseprobe

Rezension vom 15.03.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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