Die etwa 300 Texte in mehreren Sprachen und unterschiedlichen Fiktionalisierungsgrads werden nicht als Einzeltexte absolut, sondern relativ als „Rede über das Konzentrationslager“ interpretiert. Ziel der Arbeit ist es, einen Schlüssel zur Textur dieser „Rede“ zu finden und exemplarisch einen beharrlich vorgewiesenen Zug dieses Diskurses nachzuzeichnen: die Darstellung des Lagers als „Hölle auf Erden“, besser: unter dem eminent literarischen Zeichen der Divina Commedia Dantes.
Taterka gelingt das mit methodischer Stringenz. Im Abschnitt „Dante Deutsch. 1: Texte“ legt er einen horizontalen Schnitt und versammelt eine Fülle von Dante-Zitaten und -Evokationen, auch Berichte über reale Leseerlebnisse bis zur vorgetäuschten Dante-Lektüre in (zensurierten) Briefen als Chiffre für die tatsächlichen Geschehnisse im Lager. In „Dante Deutsch. 2: Lektüren“ beschäftigt sich Taterka mit den Interpreten der Lagerliteratur. Er weist nach, daß der Bezug z. B. auf Kafka, gleich ob thematisch oder mit der literarischen Tradierung begründet, anfechtbar ist, weil er vom Interpreten fast nie im Text ausgeprochen gefunden werden kann und also hergestellt werden muß. Statt die Lagerliteratur zu untersuchen und zu deuten, werden mit der Lagerliteratur konkurrierende Deutungen der Lager erschaffen. Das Fragen nach Traditionen, an die die Lagerliteratur anknüpft, erfolgt normativ. Exemplifiziert wird dies an der kafkafixierten Rezeption von Primo Levi, ergänzt von einer detallierten Analyse der eigentlich manifesten Dante-Bezüge in Levis Texten.
Von den Erwartungen der Literaturwissenschaft und von den Verwertungen der Lagerliteratur schreibt Taterka im letzten Abschnitt „Lagerliteratur lesen“.
Die philologische Forschung zum Thema steht im Zusammenspiel mit den starken Nachbardisziplinen Geschichte und Soziologie unter Druck. Legitimerweise ist die Lagerliteratur für die letzteren „Quelle“. Sie hat allenfalls einen „transitorischen“ Wert als Zwischenstadium bei der Konstruktion ihres Gegenstandes. Das verleitet dazu, auch Texte fiktiven, d. h. sich dem Referenzgebot nicht unterwerfenden Sprechens an diesen homogenisierenden Maßstäben zu messen. Wichtiger als die Textgestalt erscheinen Faktizität, Glaubwürdigkeit, was zu einem fatalen „Authentizitätsgebot“ im Interesse der Rezipienten führt (beispielhaft gezeigt an der Kritik von Susan Cernyak Spatz an Bruno Apitz oder der DDR-Rezeption von Fred Wander).
Das Feld der literaturwissenschaftlichen Lagerforschung ist, so Taterka, die erzählte Lagererfahrung, die immer textgebundene verbale Realität. Die vielstimmige „Rede über das Lager“ habe eine intertextuelle Dimension und verlange eine gemeinsame Untersuchung von fiktionaler und faktischer, von elementarer und institutionalisierter Literatur, die – sei es synchron oder nachträglich bestätigend – unter Bedingungen korrespondiert, unter denen das simple Schema von der Versprachlichung einer Erfahrung defizitär bleibt.