#Sachbuch

Das Amerika der Autoren. Von Kafka bis 09/11

Jochen Vogt, Alexander Stephan (Hg.)

// Rezension von Leopold Federmair

Ein Buch über das „Amerika der Autoren“ kommt im Jahr 2006 zur rechten Zeit. Ein Buch über konkrete Themen, vielfältige Aspekte- ein Buch, das differenziert. Denn alles über einen Kamm zu scheren, das ist seit einigen Jahren Mode, wenn die Rede auf die USA kommt.

Jürgen Habermas gehört zu denen, die immer wieder darauf bestehen, daß „Amerika“ weder in politischer noch in kultureller Hinsicht ein monolithischer Block ist. Die USA waren die erste große, staatlich organisierte Demokratie der Welt, und sie sind immer noch ein demokratisches Land, das viele Denkrichtungen zuläßt, auch wenn man gegen bestimmte politische Machenschaften Einwände erheben mag. Alles in allem sind die kritischen Stimmen, die heute über den Atlantik zu uns herüberkommen, schwächer als in den sechziger und siebziger Jahren, in einer Zeit, da sich der westeuropäische Dissens oft an amerikanischen Vorbildern orientierte. Das soll uns (so Habermas) nicht hindern, jene Stimmen zu hören und nach Möglichkeit zu stärken.

Ganz in diesem Sinn spricht sich Alexander Stephan, einer der beiden Herausgeber dieses umfangreichen Bandes, am Ende seines Beitrags, der die Wandlungen des deutschen Amerikabezugs seit dem Ende des zweiten Weltkriegs – zwischen Amerikanisierung und Antiamerikanismus – grob umreißt, für einen „gesunden Wettbewerb der Systeme“ aus, bei dem sich „beide Seiten lernfähig zeigen“. Und er deutet etwas an, das ein neuer Horizont europäischer Amerikabilder sein könnte, nämlich just jene europäische Identität, die es Habermas oder auch Derrida zufolge jenseits nationale Eigenbrötlerei nach und nach zu bestimmen gilt. Die Auseinandersetzung mit den USA, durchaus auch im Sinne einer Abgrenzung, könnte dabei behilflich sein. Auf der selben Linie, allerdings aufs Literarische bezogen, postuliert Klaus Siblewski in seinem Beitrag eine „friedliche Koexistenz“ zwischen amerikanischem und deutschem Erzählen, die eine „literarische Rivalität“ durchaus einschließt und, so wäre (im Sinne Siblewskis) hinzuzufügen, die Pluralität amerikanischer Schreibweisen berücksichtigt: bei weitem nicht alle amerikanischen Autoren sind erfolgs- und geldgierig und schreiben dementsprechend simplistisch; manche schreiben sozusagen deutscher als deutsche, oder bernhardesker als Thomas Bernhard. Seltsam mutet es an, daß der Band dann mit einem literarischen Text schließt, der genau das wiederholt, was die anderen Beiträger als obsolet betrachten: antiamerikanische Apokalyptik. Georg Klein ergeht sich, obschon auf vertrackte, ostentativ deutsche Weise, in dieser Disziplin und beruft sich dabei auf einen Ahnen von mittelgroßer Illustrität: Arno Schmidt.

Natürlich ist es unfair, einem Sammelband wie diesem seine Auswahl vorzuwerfen: immer gibt es etwas, das fehlt, und wenn Amerika das Thema ist, kann ja nur ein Großteil dessen, was zu behandeln wäre, fehlen. Seien wir trotzdem ein wenig unfair. Vielleicht hat das Fehlen damit zu tun, daß die akademischen Geistesarbeiter jenseits von einer Handvoll oft zitierten Formeln keinen Überblick haben und sich an ihr jeweiliges „Forschungsinteresse“ klammern; ein Mangel, dem die übergeordnete, besonders gern zitierte Formel vom Eigenen im Fremden – wenn die Deutschen über Amerika sprechen, sprechen sie nur über sich – in gewisser Weise Rechtfertigung verschafft. So werden dann Autoren besprochen, deren Amerikabezug recht dünn ist (und welcher Autor wäre schon ganz ohne solchen Bezug), während zum Beispiel Peter Handke – „Der kurze Brief zum langen Abschied“, aber auch „Langsame Heimkehr“ – oder Josef Haslinger, der sowohl Amerika-Reportagen geschrieben hat als auch „amerikanische“ Erzählweisen für sich in Anspruch nimmt, kaum am Rande vorkommen. Und Kafkas „Amerika“, inzwischen wieder unter dem Titel „Der Verschollene“ firmierend, ist eben doch nicht in erster Linie ein Amerika-Roman, eine Interpretation unter diesem Gesichtspunkt nicht allzu ergiebig. Der eilfertige Germanist unterstreicht sogleich, daß sich Kafkas Amerika-Bild aus angelesenen Stereotypen zusammensetzt, schließlich war der Autor selbst nie „drüben“. Auch sonst scheinen Stereotype zu den bevorzugten Gegenständen der „Imagologen“, wie sie sich ein bißchen aufgedonnert nennen, zu gehören.

Dabei erhebt sich ganz leise eine Wertungsfrage: Sind Werke, die „mit Stereotypen arbeiten“, zum Beispiel Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“, wirklich so interessant? Kann es nicht sein, daß diese Autoren, nobody’s perfect, Stereotypen einfach reproduzieren? Und wäre es nicht eher im Sinne von Literarizität, den Verfahrensweisen nachzuspüren, mit deren Hilfe Autoren das Verstellte, weniger Bekannte, Abweichende, vielleicht auf der Hand Liegende, aber Mißachtete ins Werk setzen? Also suchende, investigierende anstelle von reproduzierenden Texten zu privilegieren (denn privilegiert wird allemal)?

Eine Unentschiedenheit zieht sich durch den vorliegenden Band, die nicht weiter schlimm ist, aber etwas mehr Reflexion verdienen würde: Amerika als literarischer Gegenstand einerseits, und andererseits der Einfluß („Intertextualität“), in manchen Fällen auch die Abwehr amerikanischer Literatur. Siblewski, zusammen mit Beat Mazenauer der einzige, der den Überblick auch bei konkreten Beobachtungen ins Spiel zu bringen vermag (was wohl ein gewisses Maß an Lockerheit voraussetzt), kümmert sich vor allem um den Einfluß amerikanischer Literatur auf die neuere deutsche. Von den 24 Beiträgern sind es nur Werner Jung über Jörg Fauser und Mazenauer mit seinem Beitrag über Thomas Meinecke, die die Bedeutung von Pop-Kultur – im weitesten Sinn verstanden – für das Schreiben „ihres“ Autors beleuchten. Natürlich sind derlei Einflüsse bei Meinecke besonders zahlreich und stark (bei Fauser schon weniger), aber eine Rolle spielen sie bei zahllosen anderen deutschsprachigen Autoren. Und vergeblich suche ich im Index auch den Namen Bret Easton Ellis (oder, um noch einen zu nennen, Quentin Tarantino), der eine ganze Legion kleiner bis mittelgrößerer Autoren im zisatlantischen Gebiet schwer geprägt hat, sei es auch auf dem Umweg der Verfilmung von „Amercian Psycho“. All die Pop-Literaten der zweiten (oder wievielten?) Generation (zur ersten gehören Rolf Dieter Brinkmann, in diesem Band ebenfalls unterbelichtet, oder der Sechziger-Jahre-Handke), die Moritz Baßler in seinem Buch über die neuen Archivisten defilieren läßt, sind ohne Bret Easton Ellis gar nicht denkbar. Die Wandlungen von Rose Ausländers Amerikabild in ihren Gedichten gehören hingegen zu den aufschlußreicheren Mitteilungen des Buchs, während im großen und ganzen doch eher erstaunt, wie wenig die deutsche Exilliteratur in Amerika zum Zug kommt: wohl ein aus der Mode gekommenes Forschungsgebiet. Statt dessen ein Referat über eine Nebenfigur im „Doktor Faustus“, als hätte Thomas Mann, der allerdings im kalifornischen Exil lebte, als er den Roman niederschrieb, um Vorbilder für einen erlösungsverliebten und gewaltverherrlichenden Ästhetizismus zu finden, wirklich bis Amerika schweifen müssen; als hätte er nicht einen gewissen Friedrich Nietzsche, der sich (typisch deutsch?) gern als polnischen Mittelmeerkünstler sah, in urdeutscher Nähe gehabt.

Jochen Vogt, Alexander Stephan (Hg.) Das Amerika der Autoren. Von Kafka bis 09/11
Sammelband.
München: Wilhelm Fink Verlag, 2006.
473 S.; brosch.
ISBN 3-7705-4075-1.

Rezension vom 11.09.2006

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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