Wintobel erhält wenig später die Diagnose Lungenkrebs, zieht zu seiner Mutter, macht eine Chemotherapie, wird operiert und überlebt trotz schlechter Prognosen. Drei Jahre Absenz vom Literaturbetrieb lassen es etwas ruhiger um ihn werden. Danach kehrt er mit dem Roman Vereint in Verschiendenheit, in dem er sich mit Freitod, Schuldgefühlen und seelischen Nöten auseinandersetzt, umso eindrucksvoller auf die Bühne zurück, verkauft sich doch das Buch über eine Million mal. Einer Lesung daraus im Wiener Literaturhaus wohnt auch Andrea Vordernwald bei, die Wintobels angenehmer Stimme stundenlang zuhören hätte können. Sie, die in die 7. Klasse Gymnasium geht, interviewt ihn deshalb dann auch für die Schülerzeitung. Dass sie selber schreibt und ihre Notizen und Romananfänge zum Thema: „Junge Autorin himmelt älteren Autor an“ in einer Schuhschachtel sammelt, verschweigt sie ihm aber.
Nichtsahnend beschäftigt sich Wintobel mit demselben Thema. Irgendwie hofft er, dass sich Andrea wieder bei ihm meldet. Er bekommt die junge Frau nämlich nicht aus dem Kopf und phantasiert sie als seine Geliebte in sein jüngstes Projekt hinein. Sieben Jahre vergehen, bis es unter dem Titel Während du singst schließlich erscheint. Und obwohl er darin keine platte Liebesgeschichte erzählt, floppt der Roman, weil das allgemeine Interesse mehr der Schar der Debütantinnen gilt, die wie „Schwammerl aus dem Boden“ zu wachsen scheinen. Wintobel hätte daher am liebsten alles hingeschmissen und dem Literaturbetrieb den Rücken gekehrt, der sich mit seiner Flut an Veröffentlichungen, der Konkurrenz von hunderttausenden Büchern für ihn als trauriges Geschäft erweist, in dem man nur Erfolg haben kann, wenn man „jung, jung und nochmals jung, tough, fesch und weiblich“ ist.
Diese nicht gerade rosigen Aussichten bewirken, dass er sein Leben nur mehr „Hintersichbringen“ will, in dieser Stimmung dümpelt auch sein Schreiben vor sich hin. Wintobel kommt über „kleinere Skizzen ohne Zusammenhang“ nicht hinaus und veranstaltet deshalb nach längerer Pause einen Schreibworkshop, für den sich auch Andrea Vordernwald interessiert. Obwohl sie keinem besonders literaturaffinen Haushalt entstammt (der Vater kennt als Verschubaufseher nur das Kursbuch der ÖBB, die Mutter hört Radio und liest Groschenromane), hat sie nie aufgehört zu schreiben, nach der Matura kurz Jus studiert, dann aber einen Job in einer Anwaltskanzlei angenommen.
Andrea liest Wintobels Während du singst in einer Nacht durch, schickt ihm Texte zur Begutachtung und stimmt einem Treffen zu. Schließlich kommt sie bei ihrem Thema „Älterer Schriftsteller, junge Hobbyautorin“ über Anfänge nicht hinaus. Sie erwartet sich vom Workshop, „das Eigentliche am Schreiben zu finden“.
Wintobel, der sich (48jährig) im besten Alter wähnt, allerdings aussieht, als hätte er mehr geschrieben als gelebt, findet hingegen immer mehr Gründe, Andrea um ihrer selbst willen und nicht ihrer Texte wegen zu mögen. Aber auch in ihr reift der Wunsch nach Nähe und einer Umarmung. Doch als Wintobel, ermuntert von Dostojewski, der immerhin 25 Jahre älter gewesen ist als Anna Smitkina, mit der er vier Kinder gehabt hat, sie am letzten Abend des Schreibworkshops bei einem Gläschen Wein küssen will, stößt sie ihn sanft zurück, betont bei der gemeinsamen Heimfahrt allerdings, ihn schon zu mögen. Sie frage sich nur, ob auch sie etwas von ihm wolle oder ob eben bloß die Literatur und das Schreiben die Verbindung zwischen ihnen sei.
Die behutsame Annäherung zwischen Andrea Vordernwald und Markus Wintobel schildert Friedrich Hahn unangestrengt und farbig, in einer einfachen, lockeren Sprache und mit einer luftigen Leichtigkeit im Ton. Erzählt wird wechselweise in kurzen Kapiteln: Andrea berichtet aus der Ich-Perspektive, in den Wintobel-Abschnitten kommt ein auktorialer Erzähler zu Wort. Auf drei verschiedenen Ebenen wird an ein- und derselben Geschichte gebaut. Romanfiktion und gelebte Realität kippen dabei ineinander und bringen Gefühle und Gedanken der beiden Hauptfiguren in Bewegung.
Einmal zeigt sich Wintobel als der „netteste, aufmerksamste Zeitgenosse“, dann wieder als der „abweisendste, coolste Ignorant“, der den Literaturbetrieb verabscheut, um nicht von ihm aufgefressen zu werden; bis er schließlich erkennt, dass die „Vorstellung von einem geglückten Leben das Schreiben verunmöglicht“.
Andrea besucht ihn schließlich in seiner vom Verlag zur Verfügung gestellten Klause, wo Wintobel an einem Buch schreibt, das davon handelt, dass einer ein Buch schreiben will, es aber dann doch nicht schreibt, weil er draufkommt, dass eine junge Autorin aus einem seiner Schreibkurse es schon schreibt.
Diese Konstellation birgt einigen Charme, hilft sie Wintobel doch dabei, mehr auf sein „Menschsein“ als auf die literarische Karriere zu setzen, wo ihn der ganze Betrieb, der Rummel, das Gieren nach Erfolg ohnehin nur lähmt. Will er sich trösten, hat er ja Fernando Pessoas Buch der Unruhe, wo es heißt: „Für einen Dichter, der veröffentlicht, gibt es kein würdigeres Schicksal, als das Nichterlangen des ihm vielleicht gebührenden Ruhms“. Schon fällt es ihm leicht, sein Stück Veröffentlichungsfeld Andrea zu überlassen und die nächsten Jahre seine Kraft dafür aufzuwenden, unauffällig zu sein. Schließlich ist das Literaturgeschäft ohnehin undankbar. Denn anstelle von Begabung oder Können zählen meistens nur „Connections“, als würde „ein Model-Gesicht alleine schon genügen, um sich als Erfolgsautorin feiern zu lassen“. Dementsprechend ist auch „die Kritik hierzulande (…) nichts“.
Diese Analyse ist deutlich. Und es schimmert einiges durch: Kritik, Ironie, Wahrheit, lustvolle Spielerei. Das Debüt von Friedrich Hahn präsentiert eine schmackhafte Mischung davon.