Aufgefallen war die „etwas sonderbare Aussprache, in der schweizerische, österreichische und reichsdeutsche Tonelemente sich vermischten, so daß man sich unwillkürlich fragte: wo mag der aufgewachsen, wo herumgetrieben worden sein?“
Der „Simenon der Schweiz“ – wie Friedrich Glauser genannt wird – wurde in Wien geboren. 1896, im Wien der Jahrhundertwende. Hier hat er sich auch die ersten gravierenden Schäden geholt, denn seine Mutter stirbt früh und läßt ihn als Büttel des väterlichen Tyrannen zurück. Mit 13 reißt er zum ersten Mal aus und wird in Polizeihaft gesteckt – es ist der erste Kontakt mit der pädagogischen Hand des Staates, die ihn später in Gestalt diverser Erziehungsheime noch öfters erreicht. 1910 kommt Glauser in ein Schweizer Internat, schließt früh mit den Drogen Bekanntschaft und ist von den Dadaisten, von Hugo Ball, Tristan Tsara und Hans Arp begeistert. Mit 22 Jahren schließlich wird er – wie es heißt – wegen „liederlichem und ausschweifendem Lebenswandel“ entmündigt.
Er wird morphiumsüchtig, hält es in der Schweiz nicht mehr aus und läßt sich in der Fremdenlegion anheuern. Nach zwei Jahren in Nordafrika wegen eines Herzleidens ausgemustert, arbeitet er als Tellerwäscher in Paris, dann als Kohlenkumpel in Belgien. Zwischen Drogen und Selbstmordversuchen ließ ihn die Trias von Spitälern, Anstalten und Gefängnissen nicht mehr los, 1938 stirbt er, 42jährig, in Nervi in Frankreich, am Abend vor der geplanten Hochzeit mit seiner langjährigen Begleiterin, einer Pflegerin, die ihn in der Anstalt Münsingen betreut hatte.
„Die Zahl der Internierungen, der Entwöhnungskuren, der verschiedenen Katastrophen in meinem Leben festzustellen, deren Dauer und Daten aufzuzählen, ist unwichtig. Das Schwierigste bleibt noch zu tun: das Erlebte gestalten.“ Das schrieb Glauser 1934 bei seinem Eintritt in die Heilanstalt Waldau bei Bern. In den Anstalten hatte Glauser zu schreiben begonnen – die Literatur war ein Rettungsanker in diesem verpfuschten Leben. Er verarbeitete seine Erfahrungen mit Rauschgiften und seine Erlebnisse in der Fremdenlegion, fand aber keinen Verleger und so auch kein Publikum. So faßte er den Plan, ein Metier zu wählen, das sich verkaufen läßt, mit dem er Aufmerksamkeit erzielt. „Kriminalromane liest heutzutage jeder“ – stellte Glauser 1937 fest – „So habe ich einen Schweizer Kriminalroman geschrieben: Den Wachtmeister Studer.“
Daß neben den Romanen aber die Erzählkunst einen gewichtigen Teil des Gesamtwerkes darstellt, war spätestens 1993 klar: Damals erschien in vier Bänden
das erzählerische Werk des Friedrich Glauser.
Bernhard Echte und Manfred Papst, die bereits als Herausgeber der Glauser-Briefe hervorgetreten waren, hatten in jahrelanger Arbeit alle erzählerischen Texte Glausers zusammengetragen: von den frühen, in französischer Sprache verfaßten Erzählungen und Essays bis hin zu den Romanfragmenten aus der Zeit kurz vor seinem Tod, das Spektrum der Themen und Gattungen reicht von autobiografischen Berichten zu Kritiken und Essays, von atmosphärisch dichten Feuilletons zu fein ausgesponnenen Novellen. Was bislang in Einzelausgaben oder Auswahlbänden verstreut vorlag, wurde – angereichert mit bisher unpublizierten Texten aus dem Nachlaß – zwischen 8 Buchdeckeln vereint, kenntnisreich ediert, mit Kommentar, textkritischen und editorischen Anmerkungen versehen. 1995 hat Bernhard Echte dann mit „Matto regiert“ und „Die Speiche. Krock & Co.“ das Glauser-Projekt mit den Romanen fortgesetzt. Dank der Herausgeberarbeit von Rudolf Bussmann, Mario Haldemann, Walter Obschlager und Julian Schütt, die „Der Chinese“, „Der Tee der drei alten Damen“, „Schlumpf Erwin Mord“ und „Die Fieberkurve“ für die Gesamtausgabe bearbeitet haben, lag schließlich zum 100. Geburtstag Friedrich Glausers am 4. Februar 1996 das Romanwerk in sechs Bänden vor.
Mit dem heute noch fehlenden Band 1 ist dann das Gesamtwerk komplett. Der Legionsroman „Gourrama“ hatte die Herausgeber vor eine besonders komplizierte Aufgabe gestellt. Trotz mehrmaliger Umarbeitung hatte Glauser sein „Schmerzenskind“ – wie er den ursprünglich „Aus einem kleinen Posten“ betitelten Roman nannte – bei keinem Verlag unterbringen können. Als er 1937 in der Zeitung „ABC“ erscheinen konnte, mußte der Text um 70 Seiten gekürzt werden. Und Glauser kürzte gründlich: Eine Figur wurde völlig eliminiert, bedeutende Passagen fielen den Strichen zum Opfer. Diese überarbeitete Fassung wurde dann vom Autor selbst noch einmal stilistisch bereinigt. Entsprechend schwierig gestaltete sich so die Aufgabe der Herausgeber, den Roman in seine originale Form zu bringen. Noch in diesem Herbst wird „Gourrama“ ausgeliefert.
Die Neuedition des Gesamtwerks des Limmat-Verlages, die literaturwissenschaftliche Ansprüche befriedigt, ohne das Vergnügen des handlungsorientierten Lesers zu trüben, hat Glauser seinen Platz als einen der großer Schriftsteller dieses Jahrhunderts eingeräumt. Der neue, alte Glauser begeistert.