Ein Grinzinger Jay Gatsby
Michael Meister, selbst aus gutem Haus und Sohn eines legendären österreichischen Theater- und Filmschauspielers, fiktionalisiert in seinem Romandebüt DAS LEBEN IST ERNST die eigene Geschichte und verschmilzt autobiografische Elemente mit einem rasanten Plot zu einer neuen Legierung.
Die Geschichte spielt auf gleich drei Zeitebenen: in Ernsts Jugendzeit in den 1940ern sowie den Jugendjahren und der Gegenwart (20 Jahre später) des Protagonisten Jonathan Scheiner, von dem in der dritten Person erzählt wird.
Beim Begräbnis seines Vaters begegnet Jonathan das erste Mal seit drei Jahren wieder Sebastian Werth, für den er in der Gymnasialzeit „schwärmte“ (S.17). Sebastian war zwar nur zwei Jahre älter, strotzte aber geradezu vor Selbstbewusstsein und war zudem ein „charmanter Manipulator“ (S. 18), ein echtes Alphatier. Er quälte nicht nur seinen Hund Enzo, sondern auch seine kleinere Schwester Fabi(enne) und seine Freunde. „Die Geschichten von den Poolpartys bei Werths waren mythisch aufgeladene Erzählungen juveniler Dekadenz.“ (S. 32)
Bei ihnen wurde die Hautevolee zur „Hot Wohlee“ (S. 231), so Jonathan über den Lebensstil seines „Freundes“ Sebastian. Dessen makellose katholische Döblinger Reichtumsfassade kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm in seiner Kindheit oder Jugend einmal irgendetwas Schreckliches passiert sein muss. Genau das wird Jonathan im Verlauf des Romans noch auf schmerzliche Weise herausfinden und an seiner eigenen Haut erfahren, denn auch Jonathan geht dem Rattenfänger Sebastian auf den Leim und lässt sich von ihm manipulieren.
Parallel dazu wird – ebenso in Rückblenden – die Geschichte von Jonathans Vater Ernst erzählt, und wie er die bedrückenden Kriegsjahre erlebte. Aber auch Ernsts Kindheit war alles andere als beglückend, machte ihm seine eigene Mutter doch immer wieder Angst, etwa mit dem Poltergeist Hubartl, der in der Kanalisation wohne und ihn zu sich holen werde. Als Ernst schließlich Almerie heiratet und diese nach einigen Fehlgeburten endlich mit Jonathan schwanger wird, sagt Ernsts Mutter zu ihrer Schwiegertochter: „Geh ind Zun, vielleicht zarrintsda“ (S. 67). Ein Satz, der einem lange im Gedächtnis bleibt.
Die unvergangene Vergangenheit oder eine Döblinger Groteske
Michael Meister (*1965) versteht sich darauf, die unterschiedlichen Zeitebenen seines Roman mit entsprechendem Zeitkolorit auszustatten: Jean Paul Sartres Bühnenstück Die schmutzigen Hände oder der „cineastische Schmachtfetzen“ (S. 158) Brother Sun, Sister Moon (1972, Regie: Franco Zeffirelli) kommen ebenso vor wie Wiener Prominenz – Kritikerkönig Hans Weigel etwa oder der Schauspieler Fred Liewehr. Mit Helmut Qualtinger verbringen die Scheiners sogar einmal einen gemeinsamen Winterurlaub in Schruns.
Meister hat in seinem Debütroman wohl nicht nur seine eigene Jugend aufgearbeitet und autofiktionalisiert, sondern auch die vieler anderer seiner Generation. Sein Coming-of-Age Drama erzählt nicht nur von einer Jugend in den 1980ern, sondern auch von den Lebenslügen der Elterngeneration und deren Bestrebungen, den Schein einer heilen Familie aufrechtzuerhalten. Diese Hybris führt Meister mit viel Humor, Selbstironie und in einer teilweise sehr derben Sprache vor. Sebastian begegnet dieser Scheinwelt mit einem Schuss Glamour, reichlich Champagner und allerlei illegalen Drogen. „Es war dies eine Döblinger Groteske, surrealer Kulissenzauber, zusammengezimmert von einem Bühnenbildner auf psychogener Droge“ (S. 114), schreibt Meister.
Als Jonathan aber eine Verbindung zwischen Sebastians Mutter Lina und seinem Vater Ernst entdeckt, wird das Leben wirklich ernst. „Meine Mutter ist eine Heilige“ (S. 80) reagiert Sebastian auf Jonathans Offenbarung. Bis Sebastian selbst einen Verdacht hegt und es auf dem Sommersitz der Werths im südfranzösischen Coubertu zum Showdown kommt.
Juergen Weber arbeitete an den Universitäten Wien, Prag, Berlin und Boston, derzeit an einer italienischen Universität und als freier Autor für verschiedene Literaturportale, u. a. www.rezensionen.ch