Am (Jahres-)Ende von Clemens Eichs Romanerstling hat sich das fürsorgliche Verhältnis von Opa zu Enkel radikal verkehrt: Die vermißten Eltern kommen aus dem Urlaub nicht mehr zurück, der genesende Valentin findet eine zu entsorgende Frauenleiche im Kartoffelkeller, und Hader liegt nach einem Debüt als Totschläger im Delirium des Sterbens.
„Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie? Ist es ein Kriminalroman?“ fragt der Klappentext gut bernhardinisch – denn es ist nicht zu übersehen, daß hier Thomas Bernhards (und Gerhard Roths) monströse Dörf(l)er Pate gestanden haben. Eine Ansammlung von Grenz- und Todesfällen: Ein Briefträger, der zum verbotenen Fetischisten seiner eigenen Poststücke wird, die er zuhause hortet, schneidet sich die Kehle durch. Der Dorfarzt zeigt sich von solch blühender Sterblichkeit überfordert. Im Erinnerungsstrom von Michael Hader gibt es noch das Maxglaner KZ, an dem sich einige Lokalgrößen die Finger schmutzig und die Brieftaschen voll gemacht haben.
Der ehemalige Schauspieler Eich (1954-1998) setzt diesen schon etwas abgenutzten Gestus des österreichischen Anti-Heimat- und Grenzromans lesbar solide um, indem er „Das steinerne Meer“ kriminalistisch aus wechselnden Perspektiven erzählt. Die Vergangenheitsenthüllung hält freilich nicht, was die Grenzsituation des Salzburger Handlungsortes („wie ein gewaschener Leichnam“, „in einer Art Wurstkessel der Alpen“) versprochen hat.
Ebenso wird enttäuscht, wer im Bannkreis der Frankfurter Buchmesse 1995 deutsch-österreichische Spitzfindigkeiten erwartet hat, die – denkt man etwa an die essayistischen Ein- und Ausfälle von Gabriele Holzer – durchaus wieder en vogue schienen. Auf die diesbezügliche (und etwas unmotivierte) Schlüsselszene im Roman folgen jedoch keine tiefergehenden Reflexionen. Hader entziffert ein Grenzschild, auf dem „Deutsches Reich“ steht, wobei ihm „leicht schwindlig“ wird und er im Handke-Ton fragt: „War dieser Boden hier österreichischer Boden? Dieser Baum dort ein österreichischer, ein deutscher, ein bayrischer?“
Geschichte unterliegt hier eher der persönlichen Aneignung und Umdeutung, so wie jenes Hoheitsschild, auf dem Hader lieber „Privat – Betreten verboten“ lesen möchte.
Am Schluß des Romans steht logischerweise eine Grenzüberschreitung – wenn schon nicht im geopolitischen Sinn, so doch im sportlich-existentiellen. Ein Klischee aus der literarischen Tradition, geeignet, um sich den Dilemmata der Geschichte(n) zu entziehen? Valentin plant aus seiner geschwundenen Familie heraus die Flucht in den menschenleeren und ungewissen Raum der Natur, den titelgebenden Gebirgszug des Steinernen Meeres. Ursprünglich hätte ja auch Christoph Ransmayrs Roman „Morbus Kitahara“ so heißen sollen – was im Verband mit einigen deutlichen inhaltlichen Überlappungen (etwa im Motiv der KZ-Vergangenheit) Eichs Text endgültig zu einem interessanten intertextuellen Grenzgang in der österreichischen Gegenwartsliteratur macht.