Ein mitten auf den städtbaulichen Wüsteneien des Wiener Karlsplatzes neben dem – mittlerweile dekonstruierten – Provisorium der Kunsthalle temporär plazierter Mini-Guckkasten wurde auf diese Weise über 14 Abende zur verglasten, video- und schallverstärkten, Eprouvette für künstlerische Versuchsanordnungen. Dass diese mit hoch angesagten Theoremen programmatisch umkleidete „blue box“ nicht lediglich eine wienerische Mélange aus „speaker’s corner“ und Containerprinzip darstellte, belegt die eben erschienene Dokumentation: Waren die Performances oft auf Multimedialität bedacht, bleibt es das gute alte Buch, welches – als Gutenberg-Recorder – die Summe aller dieser Codierungen und Decodierungen aufzeichnet und wohl auch in mehrfachem Sinne „aufhebt“.
Auf diese Weise entstand eine passable Anthologie der Kodizes jener künstlerischen Kräfte, welche sich dieser Tage mit den komplizierteren Formen von Sprach-, Ton- und Bildkunst befassen. Liegt der Schwerpunkt auf den österreichischen Nestern der Avantgarden von Wien und von Linz, so finden sich selbstredend auch jene, welche ihr poetisches Wesen zwischen dem Berliner Literarischen Colloquium, dem Bielefelder Colloquium Neue Poesie, dem schwäbischen Schloss Solitude, der Literaturzeitschrift „Zwischen den Zeilen“ und neuerdings auch dem Basler Literaturhaus betreiben: Im weitesten Sinne also jene Gymnasten deutschsprachiger Laut- und Leisepoesie, welche – entgegen jedem „inhaltistischen“ Komfortverhalten und gewissermassen als „crash test dummies“ – im formalen Experiment die Grenzen der Kunstwelten zu erweitern trachten. Die meisten der Autorinnen und Autoren, etwa Friedrich W. Block, Paul Divjak, Oswald Egger, Clemens Gadenstätter, Katharina Hinsberg, Michael Lentz, Ronald Pohl, Dieter Sperl, Lisa Spalt, Christian Steinbacher, Ulrich Schlotmann, Robert Stähr oder Ulf Stolterfoht, gehören der Generation zwischen 1960 und 1970 an. Mit Felix Philipp Ingold, Liesl Ujvary und Hartmut Geerken kommen jedoch auch die erfahreneren Avantgarden zu Wort. Texte von einem der Väter der Kybernetik, dem 1911 in Wien geborenen Heinz von Foerster sowie von dem Siegener Literatur-Systemtheoretiker Siegfried J. Schmidt erweisen, wie hoch man theoretische Latten legen kann: Dass praktizierende und zur Selbst-Theoretisierung aufgestachelte Künstler sich bei solchen diskursiven Stabhochsprüngen in die Grenzbereiche zur Realsatire katapultuieren, belegt manche Seite in dem als strenge Kammer angelegten Band. Genuin poetisch formulierte Poetologien wie die versatil sich drehende Rede des Südtiroler Dichters Oswald Egger oder wie die wortverbildenden Verse des Ulf Stolterfoht forme(l)n die kodifizierte Ratio der Theorie indes zu literarischem Gewinn. Michael Lentz‘ an die Arbeiten der „Wiener Gruppe“ angelehntes Phrasen-Sprach-Spiel nimmt sich mit typographischen Überschreibungen das Motto „Decodierung:Recordierung“ auch buchstäblich vor: „das versteht aber wirklich jeder wirklich. ja das ist gut das ist gut weil jeder wirklich das versteht.“