#Roman

Der Fliegenpalast

Walter Kappacher

// Rezension von Alexander Kluy

1924, Bad Fusch im Pinzgau. Sommerfrische. Doch „H.“, ein Schriftsteller, Hauptfigur in Walter Kappachers Roman Der Fliegenpalast, mit dem dieser zum wiederholten Male im Lauf seiner 30-jährigen Autorenkarriere den Verlag gewechselt hat, befindet sich mitten in einer Krise.

Einer Krise des Lebens – gesundheitlich ist der Fünfzigjährige stark angeschlagen und hat bereits einige Schwächeanfälle erlitten, zugleich steckt er in einer dauerhaften kreativen Krise. Muss doch dieser „H.“, hinter dem sich deutlich und unübersehbar Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) verbirgt, realisieren, dass ihm die Konzentration und auch die Kraft verlustig gegangen sind, sich seinen begonnenen schriftstellerischen Projekten gleichermaßen konstruktiv, überlegt und sorgfältig zu widmen. Seine Inspiration ist beschränkt aufs Aufhäufen und Arrangieren von Notizen, von Ideenblöcken, die sich nicht zu Zusammenhängendem fügen wollen. Dramen wie „Timon“ oder „Der Turm“ kommen aus einem halb leblosen, halb projektierten Stadium genauso wenig heraus wie der ihm unter der Hand zerfasernde Roman „Andreas“. Zusehends stellen sich skrupulöse, hemmende Gedanken ein, ob denn tatsächlich sein dramatisches Talent seinen Ansprüchen genüge. Ob nicht tatsächlich, was von anderen hinter vorgehaltener Hand und in absentia mokant angemerkt wurde, Hofmannsthals Arbeiten fürs Theater nur dann restlos überzeugten, wenn er sich an ein bestehendes Stück anlehne.

Und tatsächlich sollten alle diese genannten Arbeiten Fragment bleiben oder wie „Der Turm“ beim Tode Hofmannsthals im Juli 1929 in mehrfachen Bearbeitungen vorliegen. Kappachers Hofmannsthal ist, worüber dieser selbst einmal ausführlich reflektiert, ein „Zurückgekehrter“. Ein Zurückgekehrter, der nicht ankommt in der neuen Zeit, der Nachkriegszeit. Noch in seiner Vergangenheit. Der sich weder geborgen noch heimisch fühlt in Bad Fusch, dem Sommerfrischeort, den er regelmäßig als Jugendlicher und junger Erwachsener gemeinsam mit seinen Eltern aufsuchte. Das letzte Mal allein 1919. Nun, fünf Jahre später, erkennt er nur noch wenig hier. Eine Etüde über die Vergänglichkeit also? Ein Buch depressiv gestimmter Vergeblichkeit, ein biographischer Schriftsteller-Roman, der eine Episode aus der Vita Hofmannsthals aufgreift und in gänzlich unangestrengter und elastisch federnder Sprache abbildet?

Der 1938 geborene und einst als Motorradmechaniker ausgebildete Walter Kappacher, der in Obertrum bei Salzburg lebt und zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat, unter anderem im Jahr 2004 den Hermann-Lenz-Preis sowie den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg 2006, und dem jüngst der diesjährige Georg-Büchner-Preis zugesprochen wurde – was zugleich bedeutet, dass ältere, vergriffene Bücher Kappachers nun in gebundener Form bei Deuticke neu aufgelegt wie auch im Oktober als Taschenbücher bei dtv erscheinen werden –, wollte aber keine analysierende Psychobiographie verfassen in der Manier eines Stefan Zweig, von anderen, heute unbekannten und ungelesenen Kleinmeistern des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts wie Emil Ludwig ganz zu schweigen.

Vielmehr steht hier die Tragik des Verfalls im Mittelpunkt. Es ist der frühzeitig einsetzende physische wie imaginative Verfall eines Autors, der sich aus der Zeit gefallen fühlt. Und der der neuen Zeit, die laut ist, unhöflich, schlecht gekleidet und unaufmerksam, in einem neuen, viel kleineren Österreich nicht mehr gewachsen sein will. Zudem ist es der Rapport sich summierender Verluste: der Verlust eines Staates, der Verlust der schriftstellerischen Imagination – immerhin gelangen dem jungen Hofmannsthal einst in Fusch einige große und bedeutende Gedichte –, sowie die einsetzende Vereinsamung infolge des Verlustes von Freunden. Es fehlt nur eins noch: der letzte Schritt, wie es in einer Passage heißt, über die Schwelle des Lebens, hinüber.

Bei der erstmaligen Lektüre dieses schmalen Buches dürfte fast überlesen werden, dass Kappacher lebhafte Dialoge zwischen Hofmannsthal und einem jungen Arzt namens Krakauer schreibt – Krakauer ist der Privatarzt einer so wohlhabenden wie beleibten und im Umgang despotischen Dame und eine fiktive Gestalt –, Dialoge, in denen überbordend viel gesagt wird, fehlt doch dem stagnierenden Autor ein Ohr und ein Gesprächspartner. Doch ähneln sie weitaus stärker parallel verlaufenden Monologen denn einem faktischen Austausch von Gedanken und Gefühlen. Während Krakauer von seiner Studienzeit in New York berichtet, bringt Hofmannsthal kein Interesse auf, dessen Berichten zu folgen oder nachzufragen. Umgekehrt empfiehlt der in Rodaun Ansässige dem Mediziner einen eigenen Text über Ausgewanderte und Rückkehrer, der sinnigerweise zum größten Teil in jenem Buch fehlt, welches er ausgerechnet Krakauer zur Lektüre leiht.

Keineswegs unabsichtlich und wie so vieles andere sehr sorgfältig und überlegt in den Text eingewoben spiegeln Ort und direkte Umgebung Verfassung und Lebenssituation des Herrn H. Da ist die Gemeinde kaum mehr erkennbar, da ist Neues gebaut worden, die Häuser sind aneinander gerückt. Der noch fünf Jahre zuvor dicht bewaldete Hang ist jetzt, stimmiges Bild für den mit existenzieller Krisis ringenden Autor, fast völlig abgeholzt und kahl. Der „steile Waldweg im Norden“, heißt es schon zu Beginn, „lag offen da“. Worauf sogleich eine so abschätzige wie subjektive und vor allem anderen prophylaktisch resignierende Einschätzung folgt: „das Wandern zum Kreuzköpfl hinauf war, der Sonne dermaßen ausgesetzt, sicherlich beschwerlich.“ An solchen Passagen wie an weiteren Assoziationen und Gedankenketten wird deutlich, mit welcher Dezenz Kappacher vorgeht und formuliert. An keiner Stelle denunziert er seinen Protagonisten, was vor einigen Jahren der Kritiker Ulrich Weinzierl mit einer essayistischen Annäherung an Hofmannsthal durchaus tat, auf seiner gespiegelten Suche nach einem Selbst, das er vor langer Zeit war. Dieser Hofmannsthal ist vielmehr sympathisch und wird nie trocken als larmoyante Causa verhandelt oder zergliedert.

Ein ruhiges, trauriges und dabei blendend geschriebenes Buch, das in seiner unspektakulären Manier und seinem stets dem Sinnlich-Konkreten verhafteten Gestus – hier gerät ein einzelnes Blatt in den Blick, dort werden die Details des Hotelzimmers aufgezählt – so manche andere Publikation dieses Frühjahrs, wenn nicht die Mehrzahl der Novitäten, überragt.

Roman.
St. Pölten, Salzburg: Residenz, 2009.
176 S.; geb.
ISBN 978.3-7017-1510-7.

Rezension vom 24.06.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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