#Sachbuch

Der "Heimatdichter" Thomas Bernhard

Ilija Dürhammer, Pia Janke (Hg.)

// Rezension von Peter Stuiber

Aus Anlass des 10. Todestages Thomas Bernhards im Februar 1999 veranstaltete die Gesellschaft „pro arte“ einige Lesungen, Konzerte und Diskussionen, die an „Bernhard-Orten“ stattfanden, etwa im Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums oder im Café „Bräunerhof“. Das Konzept, welches auch für den vorliegenden Band maßgeblich war: Eine „gemischte“ wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung sollte einerseits interdisziplinäre Zugänge zum Werk eröffnen, andererseits eine größere Leserschaft ansprechen. „Publikum und Presse nahmen dieses Angebot zu unserer besonderen Freude mit großer Resonanz an.“ (S. IX), resümieren die Veranstalter.

Nun, am Ende dieses Gedenkjahres, liegen die Beiträge der Teilnehmer in Buchform vor. Provokant wurde die thematische Ausrichtung formuliert: Man stellte die Frage, ob denn Bernhard ein Heimatdichter sei. Die Aufsätze und Statements nähern sich dieser Frage auf unterschiedlichste Art und Weise. Ilja Dürhammer untersucht die frühe „Heimatlyrik“ des „Nestbeschmutzers“, Alfred Pfabigan wiederum beschreibt den letzten Roman Bernhards, Auslöschung, als „patriotisches Geschenk“. Die Begriffe „Natur“ und „Natürlichkeit“ werden näher betrachtet, Religion wie Musik für das Thema fruchtbar gemacht, mal die „Kunst als Heimat“ interpretiert, dann wiederum die Österreich-Gebundenheit Bernhards kritisch hinterfragt.

Worin sich alle Autoren einig sind: Versteht man unter dem Begriff „Heimatdichter“ einen Schriftsteller, der die Heimat verklärt, dann wird man dafür wenig Spuren im Bernhardschen Werk finden. Einzig in der Lyrik lassen sich Ansätze – wie Sehnsucht nach dem naturverbundenen Landleben und eine, von Verzweiflung genährte, Religiosität – erkennen. „Aufzuwachen und ein Haus zu haben“, so beginnt ein frühes Gedicht Thomas Bernhards. Eine Erfüllung dieses Wunsches nach heimatlicher Geborgenheit wird freilich nicht in Aussicht gestellt: „Du erreichst es nie!“, endet die Strophe (S. 57). In den ersten Prosaarbeiten und den Theaterstücken ist dies alles weitgehend verschwunden. Die Menschen am Land werden zwar bis zur Auslöschung bisweilen als unverdorben stilisiert, meist jedoch als roh, brutal, katholisch-nationalsozialistisch und verlogen bezeichnet. Stadtbewohner kommen auch nicht besser davon. Kurzum: Den Wunsch nach einer derartig verkommenen Heimat gibt es später nicht mehr. Jedoch die intensive Auseinandersetzung mit Österreich.

Zur politischen Realität in unserem Land nahm Bernhard in seinen Büchern, Interviews und Leserbriefen oft genug Stellung. Maria Fialik hat schon Anfang der 90er Jahre mit ihrem Buch über den „konservativen Anarchisten“ auf die Ambivalenz Bernhardscher Österreich-Kritik hingewiesen. Günther Nenning greift dies auf, spricht in seinem Beitrag vom „Dichter als Reaktionär“ und stellt fest, „daß seine [Thomas Bernhards] politischen Ansichten stockkonservativ, erzreaktionär, solide undemokratisch, ja antidemokratisch sind“ (S. 99). Nenning bezichtigt zugleich die „Liebhaber des Bernhardschen Antifaschismus“ (S. 100), dies stets geleugnet oder zumindest stillschweigend übergangen zu haben. Tatsächlich findet man zahlreiche Stellen, die Bernhards „Sehnsucht nach aristokratischem Umgang“ belegen und ihn als Kritiker des demokratischen Sozialstaates ausweisen. Gerade in seiner polemischen Zuspitzung zeigt der Beitrag Nennings die Unmöglichkeit, den Schriftsteller mit dem herkömmlichen Begriffspaar „Rechts/Links“ in den Griff zu bekommen. Denn Bernhard einfach in die Nähe der konservativen Parteien zu stellen, wäre ebenso vorschnell. Schließlich gilt dabei der gleiche Satz, den Nenning für seine Argumentation verwendet: „Bei Bernhard muß man sich daran gewöhnen, daß er von allem, was er sagt, immer auch das Gegenteil sagt.“ (S. 98)

Einen wertvollen Beitrag zur Österreich-Kritik liefert Martin Huber, der an einen Vorfall anlässlich der Uraufführung des Theaterstücks Die Macht der Gewohnheit erinnert. Darin war die Stadt Augsburg als „muffig“ und „verabscheuungswürdig“ bezeichnet worden, was heftige Proteste zur Folge hatte. Der Schriftsteller antwortete in einem Leserbrief: „Von Lissabon aus empfinde ich Augsburg noch elementarer scheußlich als in meinem neuen Theaterstück. Mein Mitgefühl mit den Augsburgern und allen in Europa, die sich als Augsburger verstehen, ist ungeheuer grenzenlos und absolut.“ (S. 106) Augsburg ist überall. Und da Bernhard angeblich aus kulinarischen Gründen auf „Augsburg“ gekommen ist, kann man ruhig ergänzen: Augsburger sind arme Würstel. Auf Österreich umgelegt bedeutet dies: „Österreich“ bzw. „österreichisch“ bezieht sich in Bernhards Werk nicht nur auf das Land, sondern auch auf eine Geisteshaltung, die ebenso woanders zu finden ist.

Dies alles (und noch einiges mehr) kann man in der Aufsatzsammlung über den „Heimatdichter“ Bernhard nachlesen. Nicht nur für Germanisten eine interessante Bereicherung.

Ilja Dürhammer, Pia Janke (Hrsg.) Der „Heimatdichter“ Thomas Bernhard.
Wien: Holzhausen, 1999.
222 Seiten, broschiert.
ISBN 3-85493-009-7.

Rezension vom 15.12.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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