#Sachbuch

Der Ingeborg-Bachmann-Preis

Doris Moser

// Rezension von Christa Gürtler

Seit der Ingeborg-Bachmann-Preis 1977 in Klagenfurt zum ersten Mal vergeben wurde, wird er infrage gestellt. Waren es am Beginn eher die Schriftsteller, die ihm skeptisch gegenüberstanden, sind es in den letzten Jahren eher deutsche Feuilletonisten, die Kritik artikulieren. Aber natürlich werden die Konflikte manchmal auch im politischen Feld ausgetragen, etwa wenn einem Text wie „Babyficker“ von Urs Allemann der „Preis des Landes Kärnten“ zugesprochen wird und eine überregionale mediale Skandalisierung folgt.

Dennoch zählt „der schönste Betriebsausflug der Literatur“ seit seinem Bestehen trotz kritischer Gegenstimmen zu einem der wichtigsten Fixpunkte im deutschsprachigen Literaturbetrieb, der jährlich die MitspielerInnen – LiteraturproduzentInnen, LiteraturvermittlerInnen, LiteraturverarbeiterInnen und LeserInnen – Ende Juni an den Wörthersee

Erstmals liegt nun eine fundierte empirische Studie der Klagenfurter Literaturwissenschaftlerin Doris Moser vor, die mit Bezug auf theoretische Positionen Pierre Bourdieus den Wettbewerb als Börse, Show, Event analysiert und zeigt, warum seine Geschichte als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden kann. Denn in der Regel gewinnen die Anleger am Börsenplatz Klagenfurt mehr als sie verlieren, der Gewinn von ökonomischem und/oder symbolischem Kapital reizt. Auch die Höhe des Hauptpreises verzeichnet die Wertsteigerung: Waren es im Jahr 1977 noch 100.000 Schilling, beträgt es heute immerhin 22.500 Euro.

Nach dem Vorbild der Gruppe 47 suchten in den siebziger Jahren Vertreter der Stadt Klagenfurt und des ORF gemeinsam mit Schriftstellern und Literaturexperten nach einer zeitgemäßen Veranstaltungsform, die im Rahmen der bestehenden Kultureinrichtung „Woche der Begegnung“ die Vermittlung von Literatur mit touristischen Zielvorstellungen kombinieren sollte. Bereits im zweiten Jahr prophezeite Hans Weigel dem Wettbewerb Karriere, denn „die Veranstaltung sei, auf dem Weg vom Experiment zur Tradition eine Institution geworden.“ (S. 37) Seit dem Jahr 1989 überträgt 3 SAT die Lesungen an drei Tagen und die Preisverleihung am Sonntagvormittag live, dazu kommen Interviews, Diskussionen, Autorenporträts etc. So verwundert es nicht, dass die Veranstaltung 1994 wohl wegen ihrer überregionalen Medienpräsenz bei einer qualitativen Bewertung von Preisen auf Rang 3 nach dem „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ und dem „Georg-Büchner-Preis“ rangiert (S. 207).

Die empirische Untersuchung von Doris Moser bezieht sich auf die Jahre 1977 bis 1996 und stützt sich auf eine Fragebogenuntersuchung von AutorInnen, VerlagsrepräsentantInnen, PressevertreterInnen und JurorInnen, qualitative Interviews mit AutorInnen und ein Grundlagenmaterial, das im Robert-Musil-Institut/Kärntner Literaturarchiv aufbewahrt ist. (Wer es genau wissen will, kann im Anhang Daten und Diagramme studieren).

>Während für Pressevertreter die Aspekte „Kontakte, Gespräche, Begegnungen“ besonders wichtig sind, zählen für Autoren und Juroren andere Motivationen zu den besonderen Erwartungen, denn sie stehen in der medialen Inszenierung auf dem Prüfstand, können als Kritiker/Wissenschafter und Autoren ihren Wert erhöhen oder verringern. Deshalb meiden Schriftsteller, die sich auf dem Markt bereits etabliert haben, eher den Börsenplatz, da ein Wertverlust droht.

In einem umfangreichen Kapitel ihrer Analyse fokussiert Doris Moser den Blick auf die AutorInnen, die seit Beginn des Wettbewerbs nicht im Mittelpunkt stehen. Die meisten KandidatInnen sind Männer im Alter zwischen 32 und 40 Jahren, leben in Deutschland, haben ein Studium absolviert, bereits ein Buch veröffentlicht und eine Auszeichnung erhalten. Der Frauenanteil erhöhte sich zwar leicht, insgesamt liegt er im Untersuchungszeitraum bei 34 Prozent. Wenige AutorInnen verzeichneten einen konstruktiven Einfluss der Jurykritik auf das eigene Schreiben, negativ beurteilte TeilnehmerInnen erfuhren kaum positive Effekte für ihre Karriere. „Der insgesamt am breitesten gestreute Gewinn notiert als Kombination von kulturellem und sozialem Kapital, nicht aber als ökonomisches.“ (S. 355)

Auch im Falle des Skandals um den Autor Urs Allemann 1991, den Doris Moser exemplarisch nachzeichnet und analysiert, erweist sich, dass er für den Autor zu einem Prestigeverlust führte. Das Buch „Babyficker“, erschienen 1992 im Deuticke Verlag, wurde weder ein gut verkaufter noch ein viel rezensierter Titel des Autors. „Der Skandalfall erweist sich als die kapitalträchtigste (für alle Beteiligten mit Ausnahme des Autors) und zugleich riskanteste Interaktionsform zwischen medialem, politischem und literarischem Feld.“ (S. 159)

Sie hat den Wettbewerb einige Jahre als Berichterstatterin und von 1997 bis 2001 als Organisatorin begleitet und resümiert in einem Postskriptum die Entwicklungen und Veränderungen in den Jahren 1997 bis 2003. Dazu zählen die Verkleinerung der Jury, das Ende der Spontankritik, weil die Juroren die eingereichten Texte vor der Veranstaltung erhalten, Anfang und Ende des Engagements von Bertelsmann als Preisstifter und dann als Mäzen des Literaturkurses im Vorfeld des Wettbewerbs, der sich auch ohne Bertelsmann bewährt, und der Rückzug des Landes Kärnten unter Landeshauptmann Haider als Preisstifter. Der Preis wurde in „Preis der Jury“ umbenannt und wird seither von Telekom gesponsert. Die Aktienkurse des Bachmann-Preises stehen offenbar nicht schlecht, ob das aber auch für die Aktie Literatur und die Portfolios der AutorInnen zutrifft, bleibt für die Zukunft zu hoffen.

In einer spannend zu lesenden Studie ist es Doris Moser gelungen, exemplarisch ein literarisches Event, eine mediale Show, zu analysieren und gleichzeitig Entwicklungen des Literaturbetriebs unter der Metapher der Börse aufzuzeigen. (Zuerst veröffentlicht: 17. August 2004)

Doris Moser Der Ingeborg-Bachmann-Preis
Börse, Show, Event.
Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2004 (Literaturgeschichte in Studien und Quellen. 9).
550 S.; geb.
ISBN 3-205-77188-5.

Rezension vom 30.12.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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