#Roman

Der Knochenmann

Wolf Haas

// Rezension von Petra Nachbaur

Es ist schon eine Sensation in der steirischen Provinz, wenn das eigene Dorf im Hauptabendprogramm zu sehen ist, noch dazu bei Eduard Zimmermann: „Weil die Haut von einem Grillhendl ist nichts gegen die Gänsehaut, die es dir aufzieht bei der Aktenzeichen-Musik.“ (S. 27) Dennoch – mysteriöses Verbrechen hin oder her – sind die im Wirtshaus vor dem Fernseher versammelten Klöcher empfindlich und hellhörig, wenn es bei der einführenden Schilderung auf gut Deutsch heißt: „in Östreich“ – „Weil wenn du heute ein kleines Land bist, dann läßt du dir nicht gern eine Silbe auch noch wegnehmen.“ (S. 29)

Zumindest hat dieses kleine Land einen weiteren vielversprechenden Autor zu bieten. Nach „Auferstehung der Toten“ ist der zweite Teil der vom Verlag mit der Genrebezeichnung „Alpenthriller“ versehenen Trilogie erschienen, die mehr von der Konkreten Poesie beeinflußt ist als von Patricia Highsmiths „Suspense“. Der Schauplatz hat sich von Zell am See in die südsteirische Weinstraße verlagert. Neben einer legendären Grillhendlstation, die zum Ausgang für Verbrechen und Strafe wird, sind es Unterliga-Fußballspiele, Werbefahrten „nach Jugo hinunter“ (S. 48) und ein Provinz-Puff, die die Milieuzeichnung animieren und somit die solide Unterlage für allerlei Verwirrung darstellen.

Zwei Faktoren sind es, die aus dem passablen Krimi mit der unerwarteten Auflösung – „Und dann natürlich große Überraschung.“ (S. 132) – einen ausgezeichneten und nicht nur im kriminalistischen Sinn spannenden Roman machen: „Der Brenner“, ein Ermittler, der gut mit dem Glauserschen Wachtmeister Studer mithalten kann – und der Erzähler.

Ersterer ist in Puntigam aufgewachsen, mit „Autofahrer unterwegs“, und beschließt als junger Mann, er wolle „was von der Welt sehen. Eisenstadt, Salzburg, Linz, Landeck, Attnang, überall ist er gewesen“ (S. 72). Es versteht sich, daß bei einer solchen Karriere ein Sinn für Relationen erhalten bleibt, der bei einem Abstecher in die Bundeshauptstadt nicht schaden kann: „Weil in Klöch geht vielleicht ein brutaler Mörder um, aber was ist schon ein einziger Mörder gegen den Praterstern.“ (S. 86) „Der Brenner“ ist ein Ex-Polizist, der sich in den Dialogpassagen als einfach, menschlich, sympathisch zu erkennen gibt. Den Rest der Charakterisierung besorgt die zweite, unsichtbare Hauptfigur, der Erzähler.

Haas wendet auf seinen Erzähler das Canettische Prinzip der „akustischen Maske“ auf überzeugende Weise an, daß jener dem Leser gegenüberzusitzen scheint und von Klöch und vom Leben erzählt. Zwischendurch schweift er ab, gerät ins Räsonnieren und muß sich selbst und den Leser immer wieder an den Handlungsverlauf erinnern: „Aber paß auf, weil das ist interessant.“ (S. 6)

Durch genaue Beobachtung und präzise Wiedergabe gesprochener Sprache – „weil“- statt „denn“-Sätze, „und dann“-Sätze, konsequenter Gebrauch des Perfekts, bestimmter Artikel beim Namen, elliptische Konstruktionen („Aber alles natürlich Riesenmißverständnis.“, S. 142), formelhafte Wendungen („frage nicht“) – entsteht eine authentisch geschliffene Schriftsprache, die artifiziell wirkt, knöchern bisweilen, nie klischeehaft.

Jetzt der Krimi aber, paß auf, den kannst ruhig selber lesen, weil, Hand aufs Herz, wirklich eins a.

Wolf Haas Der Knochemann
Roman.
Reinbek: Rowohlt, 1997.
155 S.; brosch.
ISBN 3-499-43258-7.

Rezension vom 04.11.1997

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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