Gstättner treibt in Der König des Nichts, dem zweiten Teil der Trilogie „Die Nichtstuer des Südens“, seine Spielchen mit uns: ein erfundener Schriftsteller erzählt die Geschichte eines wirklichen Philosophen und nach dem angeblichen Willen des biographischen Objekts so falsch wie nur möglich. Der Wunsch des Weisen ist dem Schreiberling Befehl, er dichtet munter drauflos und dem Gorgias sein Leben an, das zuvor ein reichlich unglaubwürdiger ukrainischer Gräzist erforscht haben soll.
Halten wir uns zunächst an die Eckdaten aus dem Lexikon: Gorgias von Leontinoi, griechischer Sophist (eigentlich sizilianischer Nihilist, aber das ist ja nicht unbedingt ein Widerspruch), 485-380 v. Chr. Das ohnehin stolze Alter von 105 Jahren erhöht Gorgasser/Gstättner auf 109, dichterische Freiheit, was solls. Außerdem kommt es bei einer zeitlichen Distanz von 2500 Jahren auf ein paar mehr oder weniger nicht an, werden wir des öfteren von unserem gewissenhaften Biographen belehrt, etwa wenn er Platon und Aristoteles ein bisschen älter macht oder Gorgias ein bisschen jünger, je nachdem und vor allem damit ein nahezu in Vergessenheit geratener Philosoph späte Geistesrache nehmen kann an seinen prominenten Widersachern, auf die das Bildungsbürgertum bis heute große Stücke hält. „Das ist doch gerade das Wunderbare an Büchern, dass man in Büchern machen kann, was man nicht machen kann.“ Tja, schon wieder einer mit schöpferischen Allmachtsphantasien.
Und die noch dazu einer wehrlosen Figur angedichtet, einem Schriftsteller-Erzähler, der uns in den Erzähl-Pausen zum Squash-Spielen mit Freunden oder in die Sauna mitnimmt. Und nicht müde vom hin und her Zappen zwischen seinem Leben und dem des Gorgias sich auch noch in diversen Exkursen über einen Großvater beim Mittagessen, einen Vater beim Schifahrerzeichnen, verständnislose Deutschlehrer oder Söhne beim Werner Schwab- bzw. Geniespielen auslässt.
Kurz: Gstättner/Gorgasser tritt von einem erzählerischen Pseudo-Fettnäpfchen ins andere. Er pfeift auf jegliche Authentizität, unterbricht wiederholt den Faden seiner Erzählung (und das keineswegs, um Spannung aufzubauen), verplaudert sich unaufhörlich in den belanglosesten Details, lässt sogar seine Verlagslektorin zu Wort kommen, natürlich kritisch, nimmt die Kritik in entwaffnender Absicht vorweg. Ein intertextuelles Netz von Anspielungen und Zitaten, die von Goethe über Oscar Wilde und Günter Grass bis zur Rocky Horror Picture Show reichen, machen den postmodernen Stilmittelkatalog komplett.
Und eigentlich wird das ganze biographische Unterfangen von den drei Haupt-Sätzen des Nihilisten und Nichtstuers Gorgias ad absurdum geführt: „Nichts ist. Wenn etwas wäre, wäre es nicht erkennbar. Wenn es erkennbar wäre, wäre es nicht mitteilbar.“ Philosophus ait. Und der Leser schmunzelt still in sich hinein.