Die Conclusio ihrer Arbeit liefert am Ende des Buches ein „fiktiver Lexikoneintrag“ zum Thema, eine originelle und auch nützliche Abschlussvariante. „Männerroman. Roman, der die die [!] Krise eines jungen Mannes im Kontext der Emanzipation der Frau thematisiert.“ So lautet hier die einleitende Definition, die ein wenig in Widerspruch gerät zum ausgewählten Textsample, das sich vielleicht zu ausschließlich an der Literaturkritik orientiert hat. Der Männerroman setzt in diesem Sinn mit Tommy Jauds „Vollidiot“ (2004) ein. In einer Besprechung von Jauds zweitem Roman „Resturlaub“ (2007) verwendete Wolfgang Höbel in seiner Rezension den Begriff zum „ersten Mal auf den Gegenstand bezogen“. Zu den erfolgreichsten Vertretern zählt die Autorin Matthias Sachau, Hans Rath, Tim Boltz, Oliver Uschermann oder Moritz Netenjakob. Mit dieser Begrenzung des Texkorpus‘ aber geht eine reiche Tradition an „Männerromanen“ der letzten Jahrzehnte dem Blick verloren.
Aus Gründen der Titelspielerei könnte man das Genre durchaus mit Eckhard Henscheids Roman „Die Vollidioten“ (1973/1978) beginnen lassen. Der Roman gilt als Beispiel für einen Verkaufserfolg von 300.000 Exemplaren fast ohne Mitwirkung der Literaturkritik. Die Neuauflage 2014 hat freilich gezeigt, dass die Literaturkritik mit ihrem Schweigen damals vielleicht doch recht hatte. Bei der Neulektüre war die interessanteste Frage jedenfalls, was die LeserInnen an diesem zeitgeistig-selbstverliebten Geplänkel rund um eine alkoholkranke und sexbesessene Herrenrunde, die dem neuen Phänomen des „Weiberrats“ so duselig verständnislos gegenüber steht, damals so begeistert hat.
Vielleicht sollte man auch noch genauer über den Begriff „Männerroman“ nachdenken. Knaup entwickelt ihren Definition u. a. aus der Gegenüberstellung mit dem jungen Phänomen des Popromans – zu einem großen Teil Männerromane im allgemeinsten Sinn des Wortes – und dem „Frauenroman“, unter dem hier die Romane der 1970er Jahre von Svende Merian, Karin Struck oder Verena Stefan subsumiert werden. Diese Art von Literatur wurde damals aber weniger unter dem Begriff des „Frauenromans“ debattiert als unter dem der „Frauenliteratur“ und galt als „weibliche Selbstverständigungsliteratur“. Es ging also nicht um eine Ausdifferenzierung des Roman-Begriffs, sondern um die Eröffnung eines Sonderraums im Gesamt der Literatur, und das implizierte grosso modo eine prinzipielle Abwertung oder doch Ausgrenzung.
Während in die Rubrik Männerromane ein großer Teil der Nachkriegsliteratur von den Frontromanen bis zu den Kriegsheimkehrer-Geschichten gehört, insofern sie ausschließlich oder überwiegend von männlichen Schicksalen erzählen, trat „Männerliteratur“ im Sinne einer Beschäftigung mit einem krisenhaften Rollenbild etwas zeitverschoben als Reaktion auf die „Frauenliteratur“ auf den Plan, eben als männliche Selbstverständigungsliteratur, in der einsame, ich-schwache Männer ihre Verlorenheit in der (Arbeits)Welt und in Beziehungsfragen beklagen und ihre Wunden lecken.
Die Traditionslinie der Männerromane in diesem Sinn reicht von Henscheid bis zu Matthias Polityckis „Weiberroman“ (1997), von Xaver Bayers „Heute könnte ein glücklicher Tag sein“ (2001) bis zu Thomas Glavinics „Wie man leben soll“ (2004), von Arnold Stadlers „Sehnsucht“ (2002) bis zu Arno Geigers „Selbstporträt mit Flusspferd“ (2015), von Norbert Müllers „Der Sorgengenerator“ (2004) bis zu Michael Kleebergs „Karlmann“ (2013), um nur einige aufzuzählen, die noch in die der Untersuchung zugrunde gelegte Definition von Gegenwartsliteratur (seit 1989) fallen, und einige davon waren – ein weiteres Auswahlkriterium – auch auf den Bestsellerlisten zu finden.
Viele dieser Bücher sind als „Generationenporträts“ gelesen worden, und das ist eigentlich eine unzulässige Verkürzung. Doch zeitgenössische Romane über männliche Protagonisten, die mit Sinnkrise, tedio vitae und Beziehungsunfähigkeit kämpfen und vor den Anforderungen der Leistungsgesellschaft resignieren, werden immer noch gerne als Zustandsbilder der Epoche gelesen, und nicht als das, was sie sind: eben männliche Selbstverständigungsliteratur über Probleme mit der Krise des männlichen Rollenbildes.
Wenn es Anna Katharina Knaup mit ihrer Untersuchung zum „Männerroman“ gelingt, Debatten in diese Richtung anzustoßen, dann wäre das ein großes Verdienst. Und vielleicht sollten zukünftige Forschungen zu diesem Thema den Begriff historisch etwas weiter fassen.