#Roman
#Debüt

Der Schädel von Madeleine

Laura Freudenthaler

// Rezension von Karin Berndl

Paargeschichten.

Was ist romantisch? Der Duden definiert dieses Adjektiv, das klischeehaft auf Beziehungen zwischen Mann und Frau abonniert zu sein scheint, als „gefühlsschwärmerisch“ und „die Wirklichkeit idealisierend“. Laura Freudenthaler rebelliert in ihrem Debütroman Der Schädel von Madeleine auf erfrischende Art gegen triviale Liebesgeschichten, die ein ebensolches Idyll schaffen, an dem so manche Leserin sprichwörtlich schon „zu ersticken drohte“.

Sie erzählt von Liebesbeziehungen, die abwegig und andersartig sind. Ein zaghaft dahin gehauchtes „Ich liebe dich“ wird man in ihren Paargeschichten vergeblich suchen. Keineswegs zerstört Laura Freudenthaler damit alles Romantische, vielmehr kreiert sie eine wahrhaftige Romantik, der man Vertrauen und Glauben schenken kann. Die Liebe ist nämlich eine Metamorphose, in der anziehende, teilweise absurde Verhaltensweisen zur zwischenmenschlichen Verschmelzung führen. Der Ausbruch unterdrückter oder verletzter Gefühle beendet schließlich alles oder rettet die Liebe.
So verwandelt sich der Schädel von Madeleine in der Titel gebenden Geschichte in einen Hühnerstall, als sie von dem gedanklichen Kampf zwischen französischen und deutschen Vokabeln verrückt wird. Madeleine ist ein märchenhaft anmutendes Wesen aus dem Donauland. Sie strebt danach, die perfekte Pariserin für ihren französischen Mann, der ironischerweise Franz heißt, zu werden. Der Zwang, schön und richtig zu sprechen, treibt sie schließlich in den Wahnsinn. Der völlige Verlust ihrer Identität entlädt sich in der Enthauptung von Franz. Die Liebe zwischen Franz und Madeleine ist gescheitert.

Nicht weniger expressiv ist die Metamorphose der Frau in der Paargeschichte Kampfhundalltag in einen Kampfhund. Laura Freudenthaler erzählt die Verwandlung sehr intensiv und eindringlich, sodass man bei der Lektüre regelrecht die Frau im Spiegel sieht, wie sie ihre scharfen Zähne fletscht. Ihr animalischer Trieb entsteht aus dem Drang heraus, sich emanzipieren zu müssen, denn ihr eifersüchtiger Mann sperrt sie in die Wohnung ein, sobald er zur Arbeit muss. Als sie mit einem erotisch angehauchten Biss in den Hals aufbegehrt, versperrt er die Tür endlich nicht mehr und sie bekommt ihren alltäglichen, jedoch lebensnotwendigen Auslauf. Der Befreiungsschlag ist geglückt.

Gewöhnlich flüchten sich Kinder in die Märchenwelt, doch in der Paargeschichte Arme Mira, Ritter Georg verlieren sich Mira und Georg in Märchenfiguren. Erschöpft von ihren Identitätsproblemen findet sie nur bei Georg Ruhe. Dieser gerät unfreiwillig in die Rolle des „Hänsel“, während „Mira“ ein Gretel ist, das dort und da seine Affären hat. Laura Freudenthaler erzählt metaphorisch anhand des Grimm’schen Märchens von der auch heutzutage berühmt-berüchtigten Frage, die sich in einer Freundschaft zwischen Mann und Frau stellt, nämlich jener nach dem Sex unter Freunden. Georg leidet unter der Bruder-Schwester-Beziehung zu Mira, andererseits scheint es ihnen schwer zu fallen, aus den eingefahrenen Rollen auszubrechen. Es bleibt alles beim Alten.

Laura Freudenthaler erzählt intensiv und tiefgründig, hat sie doch ein psychologisches Feingefühl für ihre neurotischen, obsessiven und lasterhaften Figuren. Sie dringt in das Unterbewusstsein der Figuren ein und behandelt sie fast wie eine Paartherapeutin.

Dieser psychologische Aspekt harmoniert mit dem bildhaften Sprachstil von Laura Freudenthaler, wie zum Beispiel bei der Figur Madeleine, „die den Postkarten entstiegen ist“. Die Erzählweise variiert zwischen den Paargeschichten, so wird in Schade, my love salopp über „Kanonsex“ diskutiert, während in Kampfhundalltag nüchtern von den Spannungen zwischen dem Paar erzählt wird. Sprache als Ausdrucksmittel spielt auch selbst eine Rolle in Der Schädel von Madeleine, in der zwei Liebende aufgrund ihrer Herkunft nicht dieselbe Sprache sprechen. Die Erzählweise ist szenisch, wobei die Paargeschichten manchmal zu abrupt beginnen und enden, in ähnlicher Weise wie schon oft erzählte Anekdoten, die immer kürzer werden mit der Zeit. Erzählt wird aus der Perspektive des Mannes, „Er“, und aus der Sicht der Frau, „Sie“. Dadurch sind die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Mann und Frau getrennt wahrnehmbar und die Rollenverteilung ist klar. Besonders deutlich wird dies in der Paargeschichte Schade, my love, in welcher der anale Sexualakt zwischen der Studentin Manja und dem älteren Kunstprofessor Anthony beschrieben wird. Unaufgeregt wird von einer promiskuitiven Intimität erzählt, und ebenso unaufgeregt wird dabei eine mögliche Demütigung der Frau erwähnt.
Die Frauenfiguren in den Paargeschichten streben gewiss nach Emanzipation und Freiheit, jedoch wäre es unangebracht, Laura Freudenthaler mit einer genderspezifischen Erzählweise zu charakterisieren oder gar damit zu pauschalisieren, zumal es sich um ein Debüt handelt. Man darf vielmehr gespannt sein, welchen literarischen Weg Laura Freudenthaler weitergehen wird. Die Vorfreude auf ein neues Werk der Autorin ist jedenfalls groß.

 

Laura Freudenthaler Der Schädel von Madeleine
Roman.
Salzburg, Wien, Berlin: Müry Salzmann, 2014.
128 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-99014-091-8.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin

Rezension vom 28.02.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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