#Roman

Der tanzende Berg

Elisabeth R. Hager

// Rezension von Ursula Ebel

Vom Versuch der Aneignung der eigenen Herkunft

„Wir haben hier in Tirol ein so ein feines Fleckerl von der Welt. Wir brauchen keine Unruhestifter, die mit ihren fremden Religionen und Bräuchen daherkommen […]“, klagt ein Tiroler Dorfpolitiker in „Der tanzende Berg“. Seine Aussage steht für den konservativen Teil der Dorfbevölkerung. Diesem stellt Elisabeth R. Hager ein alternatives Figurenensemble gegenüber. In ihrem neuen Buch setzt sich die in Berlin, Tirol und Neuseeland lebende Autorin auf satirische Weise mit hartnäckigen Klischees und Stereotypen über ihr Heimatland Tirol auseinander und geht der Frage nach, welche wahr sind und welche bereits überholt.

Die Tiroler Bergkulisse und ihre Dorfbewohner:innen faszinierten die Autorin bereits in ihrem letzten Roman „Fünf Tage im Mai“ (2019). Nicht nur die Kulisse ist in beiden Romanen zentral, sondern auch ein seltenes Handwerk. Während die Protagonistin Illy in „Fünf Tage im Mai“ von ihrem Urgroßvater in das Handwerk der Fassbinderei eingeführt wird, lehrt in „Der tanzende Berg“ Onkel Franz seiner Nichte Marie das Handwerk der Tierpräparation. Unterstützung erhält diese nach Übernahme der Werkstatt von der spröde-herzlichen Tante Hella, die weiß, wann die Fondue-Spießchen aus der Küchenlade in heiklen Fällen weiterhelfen können. Doch trotz ihrer Kompetenz wird Marie von einem Teil der Dorfbewohner gemieden. So sind die Jäger nicht gewillt, ihre Trophäen einer Frau anzuvertrauen. Doch der Tiroler Tourismus sichert Maries Existenz, denn bei den Tourist*innen sind handgemachte Wolpertinger, gruselige Fabelwesen, sehr gefragt. Dass Marie im Roman ausgerechnet den Chihuahua einer reichen Hotelierstochter präpariert, ist nicht nur ein skurriles Detail, sondern auch für sie Neuland. Diesen Hund setzt Hager einerseits als Symbol für den gesellschaftlichen Wandel der touristischen Klientèle Tirols ein, andererseits steht er für den Ausschluss Maries aus der Dorfgemeinschaft.

Marie und ihre Weggefährtin, „die Butz“, zwei Frauen, die einst das Dorf verließen und aus unterschiedlichen Gründen (temporär) zurückgekehrt sind, bieten aufgrund ihrer unkonventionellen Lebensweisen ausreichend Angriffsfläche für die eingeschworene Dorfgemeinschaft: Marie war jahrelang mit Youni, einem Jugendlichen aus Ex-Jugoslawien liiert und lebt nun alleine, das Aussehen der Butz wiederum weicht vom weiblichen Schönheitsideal ab; sie ist muskulös und wird abfällig als Amazone bezeichnet.

Ein weiteres Klischee bzw. Stereotyp erweist sich als wahr: die unheimliche Präsenz patriarchaler Strukturen in den abgelegenen Tälern und Dörfern. Frauen dringen zwar in die als männlich konnotierte Sphäre vor, jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Somit gehen Berufe und gesellschaftliche Positionen in Hagers Romanen zwar von alten Männern auf junge Frauen über, doch dieser Wandel gestaltet sich in „Der tanzende Berg“ schmerzhaft und wenig erfolgreich. Fünfzehn Jahre musste Marie im Wiener ‚Exil‘ verbringen, bis sie das Gewerbe ihres Onkels übernehmen durfte. Die Hauptstadt blieb für Marie ein Ort des Transits und wird in „Der tanzende Berg“ wenig schmeichelhaft charakterisiert: „Erst sein [des Onkels] Tod hatte ihr dieses Leben ermöglicht. Und fortan schlug in dem riesigen Wartesaal namens Wien ein Mensch weniger die Sekunden tot, bis es endlich hieß: Du darfst wieder heim.“ Auch die Butz ist wenig begeistert von ihrem Wohnort im Osten Österreichs: „Und der Schurli und ich hocken in Wiener Neustadt im Neubaugebiet. Weil ich keine Kinder hab, wird’s bald so sein, als hätt’s uns hier in der Gegend gar nicht gegeben…“ Sich die Rückkehr in die eigene Heimat zu erkämpfen, gerät mitunter zu einem unmöglichen Unterfangen. Zudem bestätigt sich hier die Skepsis von Tiroler:innen gegenüber dem Osten, ein weiteres Klischee.

Ein alternatives Figurenensemble begehrt auf

Marie und ihre Bekannte, die Butz, kratzen an der harten Tiroler Dorf-Realität, in der Männer satt und selbstgefällig durch das Leben gehen. Vertrauen ist Alteingesessenen vorbehalten, eine spezifische Tiroler Herkunft verbunden mit finanziellem Wohlstand ist für die Anerkennung innerhalb der Strukturen notwendig. Hagers alternatives Figurenensemble nimmt zwar Veränderungen, Stichwort digitaler Wandel, wahr, doch grundlegende Weltanschauungen sind nicht verhandelbar. So klagt die Butz: „Was nütz’s mir denn, dass sie jetzt überall im Tal Glasfaserkabel verlegen und super Internet, wenn ich mir mein Häusel nicht mehr leisten kann?“

Hager ist eine präzise Beobachterin. Satirisch setzt sie sich mit den Abgründen einer auf den ersten Blick schönen heilen Welt, die für Zusammenhalt und Gemeinschaft steht, auseinander, spürt die feinen Linien und Mechanismen der Ausgrenzung auf. Jene, die nicht die passende Herkunft haben, die nicht der konventionellen Geschlechterrolle entsprechen, werden an den Rand gedrängt. Dabei setzt sie auf Leichtigkeit und Schwere. Ungerechtigkeit wird nicht mit Leichtigkeit dargestellt, doch eine satirische und humorvolle Grundhaltung dominiert das Buch. Sie macht die selbstbewusste Position von Marie und der Butz erst möglich. Hager gelingt der Balanceakt zwischen der Darstellung von prototypischen Außenseiter:innen par excellence und deren individueller Charakterisierung. Sie schenkt ihren Figuren Aufmerksamkeit, lässt sie selbst umfassend zu Wort kommen und schafft somit originelle Protagonist*innen, die in einer Welt des Alpen-Kitsches nicht zu ausstaffierten Puppen verkommen. Wie relevant die Alpen für ihr Schreiben sind, verrät die Autorin am Ende des Romans: „Ich danke den Bergen meiner Kindheit, dem Kitzbühler Horn, dem Wilden Kaiser und dem Kalkstein. Eure Felsen, Hänge und Wiesen haben mich zur Autorin gemacht.“

Elisabeth R. Hager Der tanzende Berg
Roman.
Stuttgart: Klett-Cotta, 2022.
256 S.; geb.
ISBN 978-3-608-98488-0.

Rezension vom 20.12.2022

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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