Franzobels neuester Text, ein laut Unteruntertitel „minimalistischer Heimatroman“, läßt dem Leser keine Chance – nicht die geringste! -, sich die Namen seiner Protagonisten zu merken, obwohl manche davon ganz besonders einprägsam lauten und immerhin „deutsch“, oder, genauer gesagt, recht „österreichisch“ sind: ein vitales Sammelsurium von „Petrus Bretterbauer“ bis „Johann Paul Pürzelmeier“ bevölkert das groteske Personeninventar.
Allerdings sind es satte 264 Gestalten an der Zahl, 264 männliche, teilweise ergänzt um Pendants aus der „Damenwelt“, sprich: rund 350 Personen, zumeist garniert mit Berufsbezeichnung, treten auf im Trottelkongreß; rund 350 Personen läßt Franzobel auf 104 Seiten antanzen, durch seltsamste Handlungsfragmente stolpern und so unvermittelt wie unvermißt wieder von der Textfläche verschwinden.
Die Namengebung folgt einem ungewöhnlichen Konzept: Ein „Papstposter“ mit sämtlichen Heiligen Vätern der katholischen Weltgeschichte bis dato plus das Wiener Telefonbuch sind der Pool, aus dem der wie immer übermütig durch seinen Text wirbelnde Autor seine Figurennamen geschöpft haben soll. Zu dieser parodistisch angehauchten Taufe mit System gesellen sich Verfremdungseffekte, durch die prominente Namen in verballhornter Form für schnelle Lacher sorgen. Im Gegensatz zu diesen „benannten“ (Pseudo-)Einzelpersonen ziehen sich in der für Franzobel typischen Textbildkombination Fotos von Sängerbünden, von namenlosen Marschierenden durch den Band.
Päpstlicher Ernst versus Schreib- und Lesespaß, klare Kette linearer Nachfolge versus (inter)textuelles Durcheinander, historische Individualität versus zeitgemäße Infragestellung von Identitätskonzepten prallen in Franzobels dichtem Prosaregen aufeinander. Der Haupttext fließt im klassischen Erzählimperfekt daher; angereichert wird er durch rhythmisierende Einschübe, in die Sprachmaterial aus Aufklärungsbüchern, sprichwörtlichem „O- Ton“, Schlagertexten, Kinderreimen, Merseburger Zaubersprüchen u. v. m. montiert wird. Auf der visuellen Ebene konterkarieren die trivialisierten Männerbünde der Gesangsvereine den Macht- und Herrschaftsanspruch des Männerbundes katholischer Würdenträger.
Zahlreiche Medienstars finden sich leicht verändert wieder; so geben etwa „Arabella Schießmauer“ oder die „Sexualtherapeutin Gertraud Schwängerer“ ein kurzes Gastspiel. Lustvoll zelebriertes Namehopping und -dropping spart jedoch auch semantisch reichlich aufgeladene Ikonen wie den Kultphilosophen „Derrida“ oder die Musikgruppe „Hüsker Dü“ nicht aus. Bevorzugt treten sie als Einwortellipse auf, jene Namen, die bekannt, hier jedoch zur lautlichen Ansammlung, zu Schall und Rauch reduziert sind wie der Markenname „Substral“. Die Insinuation der sprechenden Namen („Immaculata Mösenspreizer“, S. 7, „Pelagius Bierkistl“, S. 47) hat hingegen eine Tradition, die von Nestroy über Drach in der österreichischen Satire fest verankert ist; nicht zuletzt die kuriosen „Eigen“-Namen machen ihre Träger zu Marionetten.
Eins muß man dem Autor lassen, und zwar nicht nur seinen Spaß: die österreichische Groteske hat im „Trottelkongreß“ von „Stroh-Rum-Strolchen“ (S. 47) und deren haarsträubenden Aktionen und Verstrickungen zwischen Alt-, Neo- und Pseudonazitum, Fußballplatz, „ÖTF“ („Österreichische Terror Fraktion“) und der Sehnsucht nach einer Eintragung ins „Guinness Buch der Rekorde“ eine weitere beachtliche Ausprägung gefunden. Und auch die gegenwärtige, nicht österreichspezifische Reizüberflutung und herrschende Geschwindigkeit wird in der Kumulation der unmöglichsten Gleichzeitigkeiten, die der Protokollant, der mit Aufschreiben kaum nachzukommen scheint, in groben Zügen notiert, so drastisch wie überzeugend vor Augen geführt.
Nach gut und guten hundert Seiten und konstanter Beschleunigung erreicht die aberwitzige „Commedia dell’pape“ ihr Finale, in dem ein wahres Protagonisten-Prasseln einsetzt und Franzobel sein gigantisches Aufgebot an schräg akrobatischem Handlungsreichtum wie auf einer Seite aus einem Ali Mitgutsch-Riesenschaubilderbuch, in dem es nur so wimmelt von Akteuren, noch einmal auffächert.
Zu guter Letzt mündet der Text in eine päpstliche Geste mit schlechtem Ausgang: „Johann Paul Pürzelmeier kniete nieder und küßte den Boden, aber da kam auch schon der nächste, ihm kräftig ins Gesicht zu treten, und es wurde wieder Ich.“ (S. 104). Dieser allerletzte angehängte Hauptsatz läßt sowohl das „Licht“ nach dem Auftauchen aus dem chaotischen Textdunkel, das Aufhellen nach dem Trottelgewitter anklingen als auch die Freudsche Aufgabe des „Wo es war, soll ich werden“. Was bedeuten könnte, daß sich nach dem brabbelnd brodelnden Unterbewußten einer „écriture autocomique“ ein Autor, wenn’s sein muß, in Gottes Namen zurückmeldet und seinen Text abschließt und -segnet.