#Sachbuch

Der Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien (1885 - 1938)

Marianne Baumgartner

// Rezension von Ulrike Diethardt; Evelyne Polt-Heinzl

Der Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien (VSKW) wurde „1885 von rund 50 kulturschaffenden Frauen“ als Selbsthilfeorganisation mit dem Ziel der Errichtung eines Pensionsfonds zur materiellen Absicherung und als „Forum literarisch-künstlerischer Begegnung und Präsentation“ gegründet. Als erste Selbstorganisation im Sinne des modernen gewerkschaftlichen Gedankens, als zugleich kulturelle wie soziale Einrichtung ist der VSKW „dem Gestaltungsraum der ,Wiener Moderne‘ zuzurechnen“ (S. 9) – in deren Historiografie er gleichwohl selten Erwähnung findet.

Während seines mehr als fünf Jahrzehnte langen Bestehens bis zur Zwangsauflösung durch die Nationalsozialisten 1938 waren im VSKW um die 160 Autorinnen, Journalistinnen, Malerinnen, Bildhauerinnen und Musikerinnen organisiert. Feministischen Forscherinnen haben immer wieder auf den VSKW hingewiesen und dabei auch widersprüchliche Angaben über die personelle Zusammensetzung bei den Gründungsaktivitäten, über Mitgliedschaften und Naheverhältnisse kolportiert. Marianne Baumgartner legt nun eine erste detaillierte Darstellung der Geschicke des VSKW vor und verzichtet dabei auf jene selbstgerechte Überheblichkeit, die notwendige Revisionen früherer Forschungsergebnisse auch im feministischen Kontext nicht selten begleitet. Als Historikerin weiß die Autorin nur zu gut, wie schwierig die Quellenlage bei Frauenthemen ist. Die zentralen Gründungsaktivistinnen waren im übrigen die gebürtige Berlinerin Ida Barber und die aus Lemberg stammende Julie Thenen.

Für die Wiener Moderne ist das Okular der kulturhistorischen Forschung so ausschließlich auf die männliche Perspektive eingestellt, dass Namen und Schicksale vieler Akteurinnen aus dem Umfeld des VSKW erst mühsam ausgegraben werden müssen – und allfällig erhaltene Lebensspuren oft nur zufällig als Kryptonachlässe auftauchen. Teile des Archivs des VSKW, die Marianne Baumgartner hier erstmals systematisch auswertet und präsentiert, haben sich im Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis in Amsterdam im Nachlass Minna Kautskys erhalten. Dass sich die Forschung so wenig mit den Künstlerinnen rund um den VSKW beschäftigt, hat auch einen kulturhistorischen Grund: Das Interesse der Frauen, die das künstlerische Feld aus dem radikalen Off betraten, war zuerst auf den „Erwerb des symbolischen Besitzes, nicht auf seine Zerstörung gerichtet“ (Sigrid Schmidt-Bortenschlager), was sie in große Ferne zum rein ästhetisch, nicht sozialpolitisch definierten Begriff der Avantgarde geraten lässt.

Dass es zur Gründung des VSKW kam, war wohl ein Akt der „Selbstermächtigung“ (S. 17) der Künstlerinnen, vor allem aber eine Reaktion auf ihren statutengemäßen Ausschluss aus dem 1859 gegründeten Wiener Schriftsteller- und Journalistenverein Concordia, der – anders als die deutsche Bruderorganisation – eine Mitgliedschaft von Frauen allenfalls in der Rolle als Gattin und Witwe vorsah. „Vindobona ist erschienen, alle Größen Wiens“ sind hier zu finden, „aber mich hat die Concordia ausgeschlossen. Wenn ich sagen würde, daß es mir gleichgiltig ist, wäre das eine Lüge“, notiert Ebner-Eschenbach im Frühjahr 1880. Gründungsmitglied des VSKW, wie hin und wieder behauptet, war sie zwar nicht, aber doch von Anfang an in das Projekt und dann – mitunter schlichtend – in die Auseinandersetzungen im Verein involviert. Auch Bertha von Suttner, die neben Marianne Hainisch gern „als dritte Gründerin“ (S. 175) genannt wird, ist erst für das Geschäftsjahr 1893/94 als ordentliches Mitglied nachweisbar und stand als bereits arrivierte Autorin den Aktivitäten des Vereins, über dem das gesellschaftliche Damoklesschwert des Dilettantismus als „Inbegriff der ,Frauenkunst’“ (S. 162) schwebte, zunächst durchaus skeptisch gegenüber.

„Die Frau von damals war zur gemeinsamen und rein sachlichen Arbeit nicht genügend erzogen“ (S. 48), stellte der VSKW in seiner Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum 1910 selbstkritisch fest. Doch die zahllosen Auseinandersetzungen, mit Austritten, Rücktritten und oft rasch wechselnden Präsidentschaften, deren Hintergründe Baumgartner aus den erhaltenen Archivalien, Briefen und Tagebüchern mühsam rekonstruiert, waren wohl vor allem eine natürliche Folge der äußerst unterschiedlichen literarischen wie gesellschaftspolitischen Positionen der Künstlerinnen, auch was die Neudefinition von Weiblichkeit und weiblichen Lebensentwürfen betraf. und damit das Verhältnis zur parallel sich formierenden Frauenbewegung. Setzte der Verein in seinen offiziellen Aussagen auf Abgrenzung vom Österreichischen Frauenverein genauso wie vom politischen Antisemitismus eines Karl Lueger, konnten einzelne Akteurinnen dem radikaleren Feminismus ebenso zuneigen wie nicht-jüdische Akteurinnen dem Antisemitismus.

Bemerkenswert ist in jedem Fall die Kontinuität bis 1938 – trotz mehrerer späterer Konkurrenzgründungen wie dem 1895 ins Leben gerufenen „Verband katholischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen“, der schon mit seiner Bezeichnung den Autorinnen ein deutliches Angebot machte. Künstlervereinigungen waren häufig von besonderer Kurzlebigkeit, wie der sechs Jahre nach dem VSKW durch Autoren von Jung Wien gegründete „Verein für modernes Leben“. Zu seinen statutengemäßen Aufgaben sollte – wie beim VSKW die Organisation von Lesungen – die Organisation von Theateraufführungen gehören. Zustande kam nach langen Auseinandersetzungen über die Programmwahl nur eine: die deutsche Erstaufführung von Maeterlincks L’Intruse am 2. Mai 1892 im Theater in der Josefstadt. Weitere Projekte folgten nicht. Schnitzler notierte mit seinem feinen Gespür für Untertöne über diesen Abend: „Nachher wollten wir zusammenbleiben, aber es war eigen – wie alles auseinander bröckelte“.

Richteten sich die regelmäßigen Lese- und Rezitationsabende des VSKW zunächst an die Mitglieder des Vereins, wurden sie bald für ein allgemeines Publikum geöffnet und ab 1908/09 auch „um die männliche Präsenz erweitert bzw. ersetzt“ (S. 194). Die dilemmatische Situation zwischen wenig beachteter weiblicher Nischenöffentlichkeit und dem Verzicht auf einen reservierten Aktionsraum um den Preis einer neuerlichen Marginalisierung wird sich bei der neuen Frauenbewegung der 1970er Jahre wiederholen. Der Erste Weltkrieg war kein Ruhmesblatt des Vereins, der VSKW stellte wie der Großteil der gesellschaftlichen Institutionen „seine personellen und finanziellen Ressourcen in den Dienst des traditionellen Frauenkriegseinsatzes“ (S. 198). Nach 1918 verlor sich mit dem allmählichen Ende der institutionellen und juridischen Ausgrenzung der Frauen die Bedeutung des Vereins zunehmend. Die Wiener Universität hatte 1897, 532 Jahre nach ihrer Gründung, Frauen als ordentliche Hörerinnen der Philosophischen Fakultät zugelassen, die Medizinische Fakultät zog drei Jahre später nach, die Juridische wartete noch bis 1919, die Evangelisch-theologische bis 1928 und die Katholisch-theologische Fakultät bis 1945. Und 1920 entschloss sich die österreichische Concordia, Frauen als Mitglieder zuzulassen. Ein letzter Höhepunkt der Aktivitäten war die Feier zum 50. Jahrestags der Gründung des VSKW 1935.

Marianne Baumgartners Arbeit ist nicht nur eine historische Aufarbeitung der Geschichte des VSKW, im umfangreichen zweiten Teil des Buches bringt sie biografische Skizzen zu zentralen Akteurinnen, deren Namen wohl selbst am Thema interessierten ForscherInnen nicht immer geläufig sind: Rosa Barach, Anna Forstenheim-Hirschler, Hermine Frankentsein oder Alice Gurschner (Paul Althof); daneben finden sich auch bekanntere Autorinnen wie  Ada Christen, Marie Herzfeld (Vizepräsidentin 1900–1917), Minna Kautsky oder Marie von Najmájer sowie die Malerinnen Mina Hoegel (Präsidentin 1890–1900) und Olga Wisinger-Florian (Präsidentin 1900–1917). Der abschließende dritte Teil des Bandes enthält ein nunmehr verlässliches Verzeichnis der Mitgliederentwicklung für die Jahre 1885 bis 1920 ebenso wie ein Verzeichnis der Stifterinnen und der Spendenbewegungen.

Die Studie beeindruckt nicht nur durch ihre Sorgfalt, sondern auch durch die kluge Ausgewogenheit der Darstellung. Hier geht es nicht darum, neue Heldenmythen zu schaffen, sondern die Aktionsmöglichkeiten der Künstlerinnen in ihrer historischen wie persönlichen Widersprüchlichkeit darzustellen. Und wenn Baumgartner mit Blick auf Marie Eugenie delle Grazie festhält, dass sich „Haltung und Einstellung zur avantgardistischen Moderne der einzelnen Protagonist/innen im Zeitrahmen der frühen 1890er Jahren [!] noch weitaus unbestimmter dar[stellen] als das nachfolgende Rezeptionen insinuieren“ (S. 133), dann sollte das ein Anstoß für eine prinzipielle Revision des literarhistorischen Blicks auf diese Epoche und ihre KünstlerInnen sein.

Wie wichtig dabei sprachliche Sorgfalt ist, zeigt sich selbst in dieser gelungenen Studie an einigen Kleinigkeiten. Die „überaus fleißige Baronin“ Ebner-Eschenbach, heißt es da, hat über 53 Jahre hindurch Tagebuch geführt. Das ist eine beachtliche dokumentarische Leistung, und ihre Methode ist jener von Schnitzlers jahrzehntelangem Tagebuchprojekt sehr ähnlich; doch nur seines gilt – mit Recht – als Zeitdokument des literarischen Lebens in Wien und niemand würde ihn deshalb als „überaus fleißigen Arzt“ bezeichnen. Sorgfalt ist bei der schlechten Forschungslage zur Frauengeschichte immer auch mit dem Etikett „erstmals“ angebracht. Es war nicht Marianne Hainisch, die 1870 „die erste Forderung nach Errichtung eines gymnasialen Unterrichts für Mädchen“ erhob, das hat Betty Paoli bereits ein Jahr zuvor in ihrem Essay „Ueber weibliche Erziehung“ in der „Neuen Freien Presse“ getan.

Das sind freilich nur unwichtige Kleinigkeiten und keine Einwände gegen Baumgartners verdienstvolle Arbeit – genauso wenig wie die Frage, weshalb seit etwa einem Jahrzehnt keine geisteswissenschaftliche Arbeit mehr ohne den militaristischen Begriff des „Fokus“ auskommt – wenn, dann sollte freilich das Lektorat „im Focus der Aufmerksamkeit“ (S. 17) und „Fokussierung (S. 19) orthografisch gleichstellen.

Marianne Baumgartner Der Verein der Schriftstellerinnen und Künstlerinnen in Wien (1885 – 1938)
Sachbuch.
Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2015.
443 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-205-79702-9.

Rezension vom 03.09.2015

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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