Der Germanist und Exilforscher Joseph P. Strelka hält den Großteil der bisherigen wissenschaftlichen Bemühungen für Müll: „Die politischen Kreuzfahrer der Exilliteraturforschung, von denen sich zudem besonders viele aus dem großen Heerzug methodologischer Dilettanten rekrutieren, sind eifrig dabei, ein ebenso großes wie schiefes und unrichtiges Bild der Exilliteratur aufzurichten.“ (S. VII). Als Beweis für die Unbrauchbarkeit wertet Strelka die Tatsache, dass in den bekanntesten Exil-Nachschlagewerken der in die USA emigrierte österreichische Romancier Robert Pick nicht erwähnt wird. Auch wenn das Nachschlagen in Lexika noch immer die billigste Methode ist, Unzulänglichkeiten der Germanistik nachzuweisen, so sei Strelka verziehen, denn immerhin kündigt er an, mit seiner Gesamtdarstellung der österreichischen Exilliteratur diese Lücken schließen. Was den Umfang und die Gliederung seines Buches betrifft, wird man dem Autor den gebührenden Respekt zollen. In kaum einem anderen Werk findet man derart viele Exilanten erfasst, sodass auch Kenner die eine oder andere Entdeckung machen werden. In den jeweils für sich abgeschlossenen Teilen findet man eine nicht zu knappe Darstellung der Asylländer, wobei auch Exoten wie Island oder Ägypten ihren Platz bekommen haben. Ein Personenregister erlaubt, das Buch auch als Nachschlagewerk zu verwenden.
Sonst hält Strelka leider nicht das, was er – in Abgrenzung zu den „wissenschaftlichen Dilettanten“ – verspricht. Zunächst überkommt einen Unbehagen bei so manchen Einschätzungen des Autors. Etwa dass man die Qualität der Exilliteratur an der Anzahl der Übersetzungen messen könne (auf die zeitgenössische Literatur bezogen müsste der bedeutendeste lebende Autor aus Österreich demnach Johannes Mario Simmel sein). Oder dass es Werke von der Qualität, wie sie die Exilanten geschaffen haben, heute nicht mehr gebe (Achtung: Kulturverfall!). Auch der allgegenwärtige Antikommunismus macht das Buches nicht besser. Dies alles ist jedoch vielleicht nur der durchaus subjektive Eindruck des Rezensenten. Wo es wirklich problematisch wird, sind die Fakten. Man könnte etwa mit gutem Recht darüber streiten, ob der „heilige“ Joseph Roth in seinem Pariser Exil wirklich immer nur lieber Geld verteilt als selbst genommen hat (glaubt man den Darstellungen Soma Morgensterns, war es zumindest fallweise auch umgekehrt). Beispiel Nr.2: Elias Canetti. Zunächst nennt Strelka Canettis „Masse und Macht“, darauf folgt der Satz: „In einer indirekten Beziehung dazu steht der Essayband ‚Die Stimmen von Marrakesch‘ (1968).“ (S. 92) Es wäre interessant zu erfahren, warum aus „Aufzeichnungen nach einer Reise“ (so der Untertitel bei Canetti) bei Strelka plötzlich „Essays“ werden. Worin die indirekte Beziehung zwischen beiden Büchern besteht, bleibt ein Rätsel. Es ist zu vermuten, dass Strelka die „Stimmen von Marrakesch“ mit Canettis Buch „Die Provinz des Menschen“ verwechselt hat. Denn diese Aufzeichnungen (die wiederum auch keine Essays sind und erst 1973 erschienen) sind zum Teil während der Studien zu „Masse und Macht“ entstanden und somit wirklich in Beziehung zum philosophischen Hauptwerk zu sehen. Nur eine kleine Nachlässigkeit seitens des Autors? Auch mit den Jahreszahlen muss man es nicht so genau nehmen. Schließlich ist es doch ziemlich egal, ob Hilde Spiels Roman „Flute and Drums“ auf deutsch bereits 1947 erschienen ist, und nicht erst zwei Jahre später, wie uns Strelka mitteilt. Und um eine weniger germanistische letzte Korrektur noch anzubringen: Tunis ist kein Exilland (Tunesien schon).
Wer mit anderen wissenschaftlichen Werken so ins Gericht geht wie Strelka, sollte umso mehr auf die eigene Genauigkeit achten. Um dem erwartungsvollen Leser die Enttäuschung zu ersparen.