Zum andern bietet das angeblich friedliche Miteinander der Volksgruppen – Rumänen, Armenier, Polen, Ruthenen (Ukrainer), Juden und Deutsche – heute einen willkommenen Projektionsraum für das geglückte Experiment einer gelebten „Multikultur“. Wie prekär sich ein solches Konglomerat von ethnischen, konfessionellen, sprachlichen und politischen Interessen selbst unter den toleranten Fittichen des Doppeladlers ausnahm, zeigt eine Publikation, welche sich detailliert mit der Geschichte Galiziens, der Bukowina und Moldawiens befasst.
Als abschließende Lieferung der zehnbändigen Reihe Deutsche Geschichte im Osten Europas hebt die Darstellung mit dem habsburgischen Regnum nach der Neuaufteilungen Polens an und endet mit den Evakuierungen und Umsiedelungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Panorama, das sich zwischen den planmäßigen Ansiedelungen deutscher und österreichischer Kolonisten um 1800 und den Deportationen des 20. Jahrhunderts erstreckt, entbehrt bei genauerem Hinsehen freilich jeder Gelegenheit zur Verklärung: „Kultur“ erscheint als ein höchst fragiles Glied einer Kette, in welcher Kämpfe und Konflikte unablässig ineinandergreifen.
Wird allerdings – wie es im umfangreichen Galizien-Beitrag der Herausgeberin Isabel Röskau-Rydel geschieht – ein so komplexes Szenario als schiere Ereignisgeschichte erzählt, ergießt sich daraus eine Flut von Daten und Fakten, welche auf Dauer jede Anschaulichkeit mit sich reißt. Auch die enorme kompilatorische Leistung macht nicht wett, dass es dem aufwendig gestalteten (immerhin mehr als zwei Kilogramm schweren!) Band in konsequenter Weise an etwelchen gestalterischen Beigaben mangelt, welche die Orientierung erleichtern könnten: Karten sind rar, eine chronologische Übersichtstafel fehlt. Die prachtvoll präsentierten, meist historischen, Photographien lassen den Hinweis auf Autoren und Aufnahmedaten vermissen. Aufschlüsse über die Beiträger des Bandes sucht man ebenso vergeblich wie ein Aviso zum methodischen Handwerkszeug.
Über die Ungereimtheiten innerhalb der Bibliographie sieht man angesichts der Fülle der erschlossenen polnischen Literatur gerne hinweg. Zu diskutieren wäre indes jene „landsmannschaftliche“ Diktion, welcher sich besonders die Herausgeberin befleißigt: Man muss nicht zu den ideologischen Alarmisten gehören, um den wiederholten und unkommentierten Gebrauch der Vokabel „Deutschtum“ als zumindest befremdlich zu empfinden. Emanuel Turczynskis kluges, auch sozialgeschichtlich plastisches Referat über die Bukowina hingegen kommt nicht nur weitgehend ohne diesen Terminus aus, sondern differenziert auch dankenswert zwischen „deutschen“ und „deutsch-österreichischen“ Agenden.
Umstandslos zu empfehlen ist Maria Klanskas umfassender Essay zur Geschichte der deutschsprachigen Literatur Galiziens und der Bukowina: Hier gelangt das von Rose Ausländer beschworene „Mutterland / Wort“ zur Kenntlichkeit, buchstäblich.