Aber andererseits kennt wohl jeder das Gefühl des sich langsam anbahnenden Ärgers beim mehrmaligen Durchblättern eines bereits vor längerer Zeit gelesenen Buches, wenn eine bestimmte gesuchte Stelle nicht und nicht zu finden ist … da kommen dann Mausklick und Suchprogramme gerade wieder recht. Eine digitale Bibliothek hat ganz offensichtlich auch ihre Qualitäten, eben nur ganz andere. Ist nun besagte Textstelle endlich gefunden, macht man sich ans Abschreiben – oder man markiert sie einfach und kopiert sie ins nächstbeste Textverarbeitungsprogramm. Eine schnelllebige Zeit hat auch ihre Spuren im Umgang mit Literatur hinterlassen, und nicht nur negative.
Das Verlagsprojekt „Digitale Bibliothek“ ist kürzlich drei Jahre alt geworden, hat ein „im Bereich der neuen Medien schon fast ehrwürdiges Alter“ erreicht, wie der Herausgeber Mathias Bertram meint. Und zum Jubiläum ist nun unter anderem eine erweiterte Fassung des ersten Bandes der Studienbibliothek erschienen: „Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka“. Auf ca. 160.000 Seiten wird das literarische Werk von über 100 deutschsprachigen Autoren präsentiert, vom 18. Jahrhundert bis zur frühen Moderne. Dass neuere Texte nicht berücksichtigt werden konnten, liegt an den Urheberrechten. Um das Budget und damit den Preis der CD-ROM im Rahmen zu halten, musste auf den Erwerb teurer Lizenzrechte verzichtet werden. Leider.
Autoren wie Thomas Mann, Robert Musil oder Bertolt Brecht suchen wir also vergebens. Aber auch die „freigegebenen“ Texte machen eine ansehnliche Bibliothek aus, für die man in traditioneller Form wohl mehr als ein Bücherregal benötigen würde. Das Inhaltsverzeichnis ist alphabetisch nach Autoren geordnet und ähnlich aufgebaut wie der „Windows Explorer“, mit mehreren Ebenen und Unterverzeichnissen, die ein- und ausgeblendet werden können. Suchen kann man entweder nach Begriffen oder nach Themen, außerdem gibt es die Möglichkeit, die Suchergebnisse in einem eigenen Ordner abzulegen. Die CD-ROM ist also in erster Linie nützlich für Studenten, Literaturwissenschaftler oder Literatur-Pädagogen. Zusätzlich werden biographische Angaben und zahlreiche Porträts geboten.
Erfreulicherweise sind die technischen Systemanforderungen relativ niedrig. Das Programm läuft bereits auf einem 486er mit mindestens 16 MB RAM und ab Windows 95. Auch genügen minimale Computerkenntnisse für die Installation und Benutzung. Die digitale Bibliothek wendet sich freundlicherweise also auch an jene Literaturliebhaber, die sich nicht alle paar Jahre einen neuen Computer kaufen.