Das Konzept Dichter über Dichter ist ebenso genial wie einfach: Dichter, deren Bezahlung sich der Veranstalter gerade noch leisten kann, werden eingeladen, über einen Dichter ihrer Wahl in frei gewählter Form zu referieren.
Bereits die Auswahl des vorzustellenden Dichters ist eine Aussage, die auf Präferenz, Vorbildwirkung oder Artverwandtschaft mit dem referierenden Dichter schließen läßt. So ist es geradezu einleuchtend, daß sich Richard Wall mit dem Walliser Dylan Thomas und in einem zweiten Vortrag mit Ezra Pound, seinem Antisemitismus, Venedig und dem Ghetto beschäftigt.
Auch Manfred Maurers Überlegungen zu James Ellroy und Ludwig Lahers Bemerkungen zu Derek Walcott und Jacob Ross liefern erhellende Theorien zu den eigenen Schreibprojekten und bleiben dem jeweils artverwandten Metier Krimi-Held bzw. verkanntes Klein-Genie treu.
Gregor M. Lepkas langjährige Neuseeland-Aufenthalte spiegeln sich in der Hommage an den Neuseeländischen Dichter James Keir Baxter wider, während O. P. Zier um die Zaunecke seiner Salzburger Heimat blickt und Karl Heinrich Waggerl in saftiger Weise ins rechte Maß zurückwürdigt.
Walter Pilars Liebe gilt naturgemäß dem höchsten Gut, das Oberösterreich besitzt, nämlich der Landeshymne und ihrem patriotischen Verfasser.
Andere „Laufpaare“ sind etwa Waltraud Seidlhofer über Gertrud Kolmar, Anna Mitgutsch über Sylvia Plath, Franz Rieger über George Orwell, Gerald Bisinger über Edoardo Sanguineti, Franz Kain über Bert Brecht oder Christian Loidl über William S. Burroughs.
Während Gerhard Jaschke über Adolf Wölfli referiert, daß man seine Vortragsweise sogar aus dem gedruckten Text herauszuhören glaubt, liefert Robert Stähr vermutlich die größte Überraschung der Anthologie. Zum einen ist es seine Themenwahl, denn er hat sich niemand geringeren als den auf verschollen getrimmten Thomas Pynchon ausgesucht, und zum anderen ist es die adäquate Umsetzung des Pynchon-Kosmos der Entropie auf das Referat: Während des Referats schüttet Robert Stähr nämlich einfach einen Zettelkasten von Lesenotaten aus, und während er die einzelnen Sequenzen einordnet, erzählt er jeweils eine Geschichte über den Text, Pynchon oder sich selbst. – An dieser Stelle glüht das Herz jedes Erwachsenenbildners und Geheimbibliothekars vor Zustimmung beinahe durch.
Dichter über Dichter macht die Gedanken des Lesers dichter, könnte man sagen, und durch die lebendige Vortragsweise der Referenten liest sich auch die Anthologie wie von selbst.