#Sachbuch

Dichtung und Warenzeichen

Thomas Wegmann

// Rezension von Redaktion

Als Einstieg seiner beeindruckenden Untersuchung zum Thema Literatur und Werbung wählt Thomas Wegmann den Anzeigenakquisiteur Leopold Bloom und interpretiert James Joyce‘ „Ulysses“ als „Einladung zu Lektüren, welche die notorisch gewordene Appellstruktur werblicher und die Interesselosigkeit ästhetischer Texte nicht ignorieren, wohl aber ihr wechselseitiges Durchkreuzen und ihre wechselseitigen Bearbeitungen beobachten.“ (S. 10)

Auch die sechs Abschnitte seines Buches vermessen die lange Reihe der „Grenzübertretungen“ und interdisziplinären Verschneidungen als Phänomene kulturhistorischer Prozesse. Ökonomische Implikationen interessieren ihn dabei genauso wie Veränderungen von Alltagswahrnehmung bzw. -verhalten und die intellektuellen Debatten darüber. Den Auftakt machte 1908 Werner Sombarts Verurteilung der Reklamezeichen als „hässliche Fremdkörper in Stadt- und Landschaftsbildern“ (S. 110). Nach 1918 wurden die immer schrilleren Reklametechniken – die sich wie Lichtinstallationen oder Himmelsschriften technologischen Innovationen verdanken – Standardthema des Feuilletons.

Das Buch beginnt mit den Anfängen des Labellings via Markennamen – eine entscheidende Rolle spielte dabei übrigens die Nürnberger Bleistiftfirma Faber, die sich gegen billige Bleistiftattrappen, rufschädigend als „Nürnberger Tand“ bezeichnet, zur Wehr setze, indem sie ab 1840 Warenzeichen auf ihre charakteristischen Sechskant-Bleistifte druckte. Als zentrale Kristallisationspunkte nimmt Wegmann Produkte des Dispositivs Hygiene/Kosmetik (Odol, 1893, Persil, 1907) bzw. Mobilität, also vor allem das Automobil, mit den bekannten Beispielen werbetextender AutorInnen: Frank Wedekind, Joachim Ringelnatz, Kurt Schwitters oder Bertolt Brecht. Ein zentrales „Feld“ im Sinne von Wegmanns Untertitel „Reklame im literarischen Feld“ ist hier die intensive Werbebeziehung von Autoren um 1920 zu Produzenten des teuren Schreibgeräts Schreibmaschine, etwa Carl Zuckmayer oder – im Buch nicht erwähnt – Alfred Kerr, gegen dessen Werbeauftritte Karl Kraus heftig polemisierte.

Spannend sind die analysierten Spuren von „Werbung als Werkelement“ (S. 214), wo neben erwartbaren Namen wie Thomas Mann, Erich Kästner, Kurt Tucholsky oder Franz Hessel auch Hugo von Hofmannsthals „Brief des Lord Chandos“ neu gelesen wird: In Analogie zur Odol-Werbung unter dem Aspekt „Mundhygiene“, und verbunden mit Hofmannsthals Engagement im „Kartell lyrischer Autoren“, die 1902 ihre lizenzmäßige Vermarktung selbst in die Hand nahmen. Stefan George als Beispiel antimoderner Autor-Inszenierung mit absolut modernen Techniken steht neben dem eigenwilligen Selbst- und Purgierungsmittel-Promoter Peter Altenberg. In Kapitel fünf „Idole, Konsum und Werbetexte(r) im Roman der Weimarer Republik“ ist tatsächlich kein Beispiel der österreichischen Literatur dabei, doch erweitert Wegmann das Standardsample von Irmgard Keun, Erich Kästner und Gabriele Tergit immerhin um Martin Kessels „Herrn Brechers Fiasko“. Das abschließende sechste Kapitel zur problematischen Grenzziehung Reklame und Propaganda gibt, nach einem Exkurs über NS-Propaganda und Werbung, einen Überblick zu Themenfeldern und Fallbeispielen nach 1945 wie das Branding der Gruppe 47 oder der Streit in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung über Zigaretten-Werbeauftritte von Kasimir Edschmidt, Irmgard Keun und Frank Thiess 1954/55. Ein abschließender Ausblick gilt der jüngeren Gegenwart: Die völlige Neupositionierung von Werbebotschaften im Kontext der Pop-Art der 1960er Jahre, als Protokolle der Konsumkultur dann in der „Pop-Literatur“ der 1990er Jahre, bis hin zur „Trademark“ als Reinkarnation des totgesagten Subjekts – das sich als ‚Nick-Subjekt‘ der Socialmedias wohl weiter ausdifferenzieren wird.

Thomas Wegmann Dichtung und Warenzeichen
Reklame im literarischen Feld 1850 – 2000.
Göttingen: Wallstein, 2011.
592 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-8353-0908-1.

Rezension vom 18.10.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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